Schwanengesang (German Edition)
Arbeitsmangel beklagen können«, versprach Marc geknickt.
Gabriel machte ein übertrieben skeptisches Gesicht. »Die Frage ist nur, ob du mich auch bezahlen kannst«, erwiderte er und grinste. »Aber sei unbesorgt. Ich bin bereit, dir mein Honorar, für … sagen wir zwei Wochen zu stunden, bevor ich dir den Gerichtsvollzieher auf den Hals hetze.«
»Du bist ein guter Mensch, Gabriel. Niemand hat solche Freunde wie ich.«
»Das will ich meinen. Jetzt komm aber erst mal rein.«
Gabriel führte Marc in sein Büro, wo er ihn im Besucherstuhl Platz nehmen ließ.
»Hast du die Nacht halbwegs überstanden?«, wollte Gabriel wissen.
»Ich habe kaum geschlafen«, gestand Marc. »Im Moment habe ich das Gefühl, als ob alles um mich herum zusammenbricht.«
»Hat sich wegen des Haftbefehls schon etwas Neues ergeben?«
»Bisher nicht. Aber du hast ja gestern schon prophezeit, dass die Polizei den Haftbefehl frühestens heute Nachmittag bekommen wird. Vielleicht habe ich also noch ein paar Stunden Galgenfrist. Ich bin übrigens nicht allein gekommen. Die Polizei wartet unten. Ich werde jetzt ganz offen überwacht. Wir müssen also damit rechnen, dass sie mitten in unser Gespräch platzen und mich mitnehmen.«
Gabriel blies die Backen auf. »Scheiße«, murmelte er. »Aber da musst du jetzt erst mal durch. Ich kann erst wieder etwas für dich tun, wenn der Haftbefehl vorliegt und ich prüfen kann, was sie haben. Und was nicht, natürlich. Aber du kannst dich auf mich verlassen. Ich habe die Haftbeschwerde schon vorbereitet und stehe hier quasi Gewehr bei Fuß.«
Marc nickte. »Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass ich nicht allzu lange in U-Haft sein werde. Gestern Nacht ist mir alles klar geworden. Ich weiß jetzt, wer hinter allem steckt.«
Gabriel starrte ihn mit großen Augen an. »Wer?«, fragte er nur.
»Wir haben von Anfang an einen Denkfehler begangen«, sagte Marc, »indem wir immer davon ausgegangen sind, dass nur Yvonne oder Heinen die Möglichkeit hatten, die Speicherkarte mit der Aufnahme von Johanna Reicherts Tod zu kopieren. Aber es gab noch eine dritte Person: Melanie!«
»Melanie?«
»Natürlich. Nach Johanna Reicherts Tod habe ich die Speicherkarte zu Hause in meinem Arbeitszimmer verwahrt. Und dazu hatte Melanie natürlich Zugang.«
Gabriel machte ein verwirrtes Gesicht. »Aber warum hätte Melanie die Speicherkarte kopieren sollen?«
»Ganz einfach. Sie hat mit Heinen zusammengearbeitet. Und mit Charlotte Vollmer.«
Gabriel beugte sich ungläubig vor. »Was sagst du da?«
»In meinem Innersten hatte ich schon lange den Verdacht, dass Heinen und Melanie etwas miteinander haben. Erst Heinens Rechnung, dann die Fotos von Lizzy in der Werbebroschüre der Heinol GmbH. Gut, dafür gab es vielleicht noch harmlose Erklärungen und Melanie hat es auch geschafft, sich einfach rauszureden. Aber gestern haben mir diese Kommissare berichtet, sie hätten bei der Hausdurchsuchung eine DVD mit der Aufnahme von Johanna Reicherts Tod und ein Foto von Heinen in Melanies Nachttisch gefunden.«
»Nein!«
»Doch. Damit steht unzweifelhaft fest, dass die beiden ein Verhältnis hatten. Warum hätte Melanie sonst ein Foto von Heinen aufbewahren sollen?«
»Was sagt Melanie dazu?«, fragte Gabriel.
»Ich wollte sie gestern mit den Funden konfrontieren, aber Beatrice hat mir gesagt, Melanie sei nicht da. Anschließend bin ich zu Charlotte Vollmer gefahren. Als ich mich mit ihr unterhalten habe, hatte ich plötzlich das Gefühl, es sei noch eine Person im Haus. Und so war es dann ja auch.«
»Und du meinst, das war Melanie?«
»Ich bin mir sogar sicher. Weißt du, welchen Film sich Charlotte Vollmer angesehen hat, als ich kam? Message in a bottle nach dem Roman von Nicholas Sparks, einem von Melanies Lieblingsautoren.«
Gabriel lehnte sich mit einem skeptischen Gesichtsausdruck in seinem Sessel zurück. »Das ist doch kein Beweis!«, widersprach er.
»Nein, für sich genommen nicht, aber es geht ja noch weiter: Melanie ist seit Heinens Tod nicht mehr von der Polizei überwacht worden, das heißt, sie konnte sich wieder frei bewegen. Heinen und Charlotte Vollmer sind erschossen worden. Melanie hat vor vier Jahren ihren Mann erschossen. Sie weiß also, wo und wie man eine illegale Pistole bekommt und sie kann mit Waffen umgehen.«
Er hielt einen Moment inne, um sich zu sammeln. »Und etwas ist mir gestern Abend immer und immer wieder durch den Kopf gegangen: Warum hat der Mörder mich am Leben gelassen?
Weitere Kostenlose Bücher