Schwanengrab
dringend mal. Ich habe sie gebeten, mit mir mitzukommen, weil ich mich nicht alleine in die Büsche schlagen wollte. Sie ist einfach mitgegangen. Es war ganz leicht. Dann hat mir Mike geholfen. Er kann besser zielen als ich. Er hat einen Stein nach dem Nest geworfen.«
»Mike? Er war damals auch dabei?«, fragte ich entgeistert.
Sie hörte mich gar nicht, sprach einfach weiter. »Die Viecher sind wie wild ausgeflogen. Ich bin weggelaufen,bevor mich eine stechen konnte. Veronika ist stehen geblieben. Sie war in Panik. Sie hat geschrien. Zwei haben sie gestochen. Ruck, zuck.«
»Aber sie hatte doch sicher das Gegenmittel dabei«, sagte ich entsetzt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand mit einer so lebensbedrohlichen Allergie eine Wanderung in einem Wald unternahm ohne das nötige Medikament.
Caro nickte. Sie starrte mich an, als wäre sie nicht von dieser Welt. Ihre Augen hatte sie weit aufgerissen. »Ja, sie hatte es dabei, aber es war nutzlos«, sagte sie ruhig. Sie lächelte schief, wie ein kleines Kind, das einen Streich ausgeheckt hatte.
Ich wollte nichts mehr hören, wollte einfach hier weg. Verzweifelt betete ich im Stillen darum, dass mein Akku hielt. Und dass Christoph mithörte.
Caro sprach unbeirrt weiter. »Ich wusste ja, wo sie es immer aufbewahrte. Einen Tag vor unserem Ausflug hatten wir Sport. Ihre Tasche war in der Umkleide. Ich sagte zu Herrn Simon, dass ich aufs Klo müsste. Keiner hat mich gesehen. Ich habe mir extra Handschuhe angezogen, wegen der Fingerabdrücke, und das Fläschchen herausgenommen. Dann habe ich den Inhalt ausgeschüttet – nicht ganz. Ein kleines bisschen davon habe ich noch drinnen gelassen. Damit sie krank wird – aber nicht zu sehr.«
Entsetzt starrte ich sie an. Ich konnte es nicht fassen, konnte nicht glauben, was sie soeben gesagt hatte. »Du hast was?«, fragte ich schockiert.
»Ich habe es mit Leitungswasser aufgefüllt und wieder zugeschraubt«, gab sie zu. Sie klang ganz ruhig dabei, als sei es das Normalste von der Welt.
»Aber ... du wusstest, dass sie dann sterben könnte. Du hattest schon den Plan mit den Wespen im Kopf und hast es absichtlich gemacht?«
»Sei still!«, zischte sie. Ihre Augen bekamen plötzlich einen anderen Ausdruck. Gequält sah sie mich an. Ihre Mundwinkel zitterten, und als sie weitersprach, bebte auch ihre Stimme: »Neelas Vater hatte Geli doch gesagt, dass ein solcher Schock nicht lebensbedrohlich sein muss, wenn Veronika sofort Hilfe bekommt. Und Mike hat das auch gesagt. Gleich nachdem Veronika gestochen wurde, bin ich losgelaufen. Zu Tom und den anderen. Ich habe um Hilfe geschrien und Tom von den Wespen erzählt. Er ist sofort zurückgerannt und wir alle mit ihm.« Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie ließ den Stock sinken. Ich atmete erleichtert auf, dass sie offenbar nicht vorhatte, damit auf mich loszugehen.
Caro sprach weiter. »Ich habe ihm die Stelle gezeigt. Aber als wir dort ankamen, war Veronika nicht mehr da. Nur ihre Tasche lag am Boden und das Fläschchen. Es war offen und leer. Alle dachten, sie hätte das Notfallmittel eingenommen. David hat es aufgehoben und Tom gegeben. Und Tom hat per Handy sofort den Notarzt alarmiert. Dann haben wir sie gesucht. Wir haben geschrien, aber sie hat nicht geantwortet. Tom hat sie schließlich entdeckt. Unten in der Schlucht. Die blöde Kuh ist in die falsche Richtung gelaufen und abgestürzt.«Caros Körper schüttelte sich heftig. Sie weinte. Ich spürte kein Mitleid mehr, nur noch blankes Entsetzen.
»Was kann ich denn dafür, wenn sie in die falsche Richtung läuft?« Sie blickte mich vorwurfsvoll an.
»Und Mike?«, fragte ich. »Wo war Mike die ganze Zeit?«
Caro zuckte mit den Schultern. »Er ist verschwunden, gleich nachdem er den Stein geworfen hatte.«
Vielleicht hatte er ja noch viel mehr mit Veronikas Tod zu tun. Hatte er sie womöglich in die Schlucht gestoßen? Mir wurde speiübel bei dem Gedanken. Wenn Mike hier irgendwo war, dann schwebten wir in Lebensgefahr. Ich und vielleicht sogar Caro, die ja nun sein Geheimnis verraten hatte. Wir mussten hier weg, so schnell wie möglich. Zurück auf die Straße, wo man uns finden konnte.
Caro musste Vertrauen zu mir gewinnen. Ich musste sie beruhigen. Falls Christoph das Gespräch mithörte – und wieder betete ich darum, dass er es tat –, dann war die Polizei vielleicht schon auf dem Weg hierher.
»Du kannst nichts dafür«, log ich. So ruhig wie möglich sprach ich weiter: »Es war nicht deine
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