Schwanenlied: Der fünfte Fall für Katrin Sandmann (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Bluse. Sie hatte sich ihm entgegengereckt. »Du kannst mich haben, wenn du willst«, hatte sie geflüstert, und er hatte gelächelt.
Tom platschte in die Küche. Er war noch nass vom Duschen und trug nichts an den Füßen. Als er sie erblickte, blieb er abrupt stehen. »Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
*
Katrin warf einen Blick zur Seite. Manfred starrte ungewöhnlich schweigsam aus dem Seitenfenster. Er hatte nicht viel über den Ausflug mit seiner Mutter erzählt, nur dass sie schnell einen passenden Stein gefunden und danach noch einen Kaffee getrunken hätten. Es sei ganz okay gewesen, hatte er gesagt. Was auch immer das heißen mochte.
»Sagst du mir, wann ich abbiegen muss?«, fragte Katrin. Sie waren auf dem Weg in Manfreds Heimatdorf Winscheid. Er hatte sich bereit erklärt, ihr das Haus wenigstens einmal von außen zu zeigen.
Er brummte eine Antwort.
Katrin fuhr langsam weiter. Der Wald öffnete sich und gab den Blick auf einige Häuser frei. Die Landstraße holte zu einer weiten Rechtskurve aus.
»Hier rein«, murmelte Manfred, als sie die Kurve erreichten.
Katrin bog ab. Sie passierten das Ortseingangsschild. Anders als Kestenbach lag Winscheid nicht unmittelbar an der Durchgangsstraße, sondern ein wenig abseits. Es gab viele Neubauten, einige wenige alte Höfe, ein paar spießige Einfamilienhäuser aus der Nachkriegszeit.
»Hier links«, sagte Manfred, als sie an eine Kreuzung kamen. Am Straßenrand sah Katrin einen Spielplatz und gegenüber ein Café. Als sie abbogen, erhob sich über ihnen die Dorfkirche. Der Wagen kroch den Berg hoch, an der Kirche vorbei in ein Wohngebiet mit vielen Häusern, die offenbar erst wenige Jahre hier standen. »Alles neu hier«, brummte Manfred. »Hat sich total verändert.«
Noch einmal musste Katrin abbiegen, dann hob Manfred die Hand.
»Hier ist es.« Er deutete auf ein kleines Haus auf der linken Seite. Einzelgarage, Blumenrabatten, Jägerzaun. Im Vorgarten stand eine Zierschubkarre, die mit Petunien bepflanzt war.
Katrin rollte an den Straßenrand und stellte den Motor ab. Neugierig studierte sie die Fassade. Zu gern hätte sie einen Blick ins Innere geworfen, doch das konnte sie Manfred nicht zumuten. Es war Zugeständnis genug von ihm, dass er sie hierherbegleitet hatte. Ihretwegen sollte er seinen Schwur nicht brechen müssen. Wenn er das je tat, dann musste er selbst es wollen und dazu bereit sein.
Sie blickte zu Manfred und erschrak. Er war weiß im Gesicht, hatte die Finger in das Sitzpolster gekrallt.
»Was ist los?«
»Ich – ich muss hier weg.« Seine Stimme klang atemlos, als würde ihm jemand die Luft abdrücken.
Katrin zögerte keine Sekunde. Sie stellte den Motor wieder an, wendete in der gegenüberliegenden Einfahrt und fuhr los. Sie waren noch nicht wieder an der Kreuzung, als Manfreds Handy klingelte. Er zog es aus der Tasche, blickte auf das Display und stöhnte.
»Deine Mutter?«
Er nickte.
»Gib her.«
Wortlos reichte er ihr das Telefon.
Sie fuhr an den Straßenrand und meldete sich. »Ruth? Hallo, hier ist Katrin.«
»Was ist los? Ich habe euch gesehen, und dann seid ihr einfach wieder losgefahren.« Manfreds Mutter klang so überdreht wie immer. Aber diesmal schwang noch etwas anderes mit. Enttäuschung? Trauer?
»Tut mir leid, Ruth.« Katrin überlegte fieberhaft. Was sollte sie ihr sagen? »Ein Anruf von der Polizei. Wir sollen sofort zum Hof kommen.«
»Ach du lieber Himmel, ist etwas passiert?«
Aus den Augenwinkeln erkannte Katrin, wie Manfred sie dankbar ansah. »Nein, keine Sorge. Sie möchten sich den Raum noch einmal ansehen, und Manfred soll dabei sein. Ist wohl so Vorschrift.«
»Dann kommt ihr später? Das wäre schön.«
Katrin zögerte. »Ich weiß nicht, wie lang es dauert. Wir melden uns. Vielleicht laden wir dich einfach heute Abend zum Essen ein, was hältst du davon?«
»Ja gern.« Sie klang bekümmert, schien zu wissen, dass Manfred ihr Haus in naher Zukunft nicht betreten würde.
»Schön. Wir rufen dich an.« Katrin unterbrach die Verbindung, gab Manfred das Telefon zurück und fuhr wieder los. Nachdenklich steuerte sie den Wagen in Richtung Landstraße. Manfred hatte ihr nie viel von seiner Kindheit erzählt. Sie wusste nur, dass sein Vater sehr streng gewesen war, dass er sein Zimmer immer penibel hatte aufräumen müssen, dass Taschengeld und sonstige Vergünstigungen von Gehorsam und guten Schulleistungen abhängig gewesen waren. Aber erklärte diese Strenge, dass er
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