Schwanenlied: Der fünfte Fall für Katrin Sandmann (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
andere in Gefahr bringen.«
Katrin verzog das Gesicht. »Dafür waren ihnen die Schilderungen der Nachbarn wohl zu harmlos. Bestimmt denkt dieser Rau, dass sie im Wald unterwegs ist, um Kräuter zu sammeln, die den Dämon von ihrer Tür fernhalten.« Sie schüttelte unwillig den Kopf.
»Sie war die ganze Nacht nicht zu Hause.«
»Vielleicht ist Vollmond.« Katrin stellte die Tasse wieder ab und schnitt eine Grimasse. »Die wirksamsten Kräuter sammelt man bei Vollmond.«
»Haha.« Er sah sie an und versuchte nicht daran zu denken, dass sie vielleicht schwanger war. Er wollte sich nicht zu früh freuen.
Katrin hob die Schultern. Ein schwaches Lächeln spielte um ihre Lippen. »Frauenwissen.« Dann wurde sie wieder ernst, riss ihn aus seinen Zukunftsträumen. »Ich mache mir wirklich Sorgen. Zu blöd, dass wir die Polizei nicht überzeugen konnten.«
»Die Bullen schreiten halt immer erst ein, wenn etwas passiert ist.« Er ließ das Brötchen, von dem er gerade hatte abbeißen wollen, auf den Teller fallen. Anfangs hatte er Katrins Sorge auch für übertrieben gehalten, doch spätestens seit er das unbenutzte Bett gesehen hatte, sah er das anders. Es war schon einmal ein Mensch in Kestenbach spurlos verschwunden. Und da das alles mit seiner eigenen Familiengeschichte zusammenzuhängen schien, fühlte er sich verantwortlich.
Anna Henk war diejenige, die am häufigsten von dem schwarzen Dämon gesprochen hatte. Vermutlich hatte sie ihn tatsächlich gesehen, oder besser gesagt: Sie hatte Cornelia Grauweiler gesehen, das schwarze Mädchen, das es nicht geben durfte. Bestimmt hatte Marius seine Nichte manchmal nach draußen gehen lassen, nachts, wenn er sicher sein konnte, dass niemand in der Nähe des Hofs unterwegs war. Und bei einer solchen Gelegenheit musste sie doch gesehen worden sein. So war die Legende vom schwarzen Dämon entstanden. Und dann war Cornelia gestorben, und Marius Grauweiler hatte ein totes Mädchen am Hals gehabt, das es offiziell gar nicht gab. Deshalb hatte er sie wohl einfach in der Kammer liegengelassen.
Bis eines Tages ihr Vater auftauchte und nach seiner Tochter fragte. Marius musste in Panik geraten sein, möglicherweise hatten die beiden Männer gestritten. Dabei war David Freeman ums Leben gekommen, dessen war Manfred sicher. Es gab keine andere Erklärung, niemanden sonst, der ein Motiv hatte, den Amerikaner umzubringen. Marius hatte ihn vermutlich nicht absichtlich getötet, es war ein Unfall gewesen oder eine Tat im Affekt. Danach hatte er jedenfalls die Leiche beseitigt, und zwar so gründlich, dass sie bis heute nicht wieder aufgetaucht war.
Doch wenn all das zutraf, was war dann mit Anna Henk geschehen? Wenn sie etwas beobachtet hatte, wem konnte sie damit heute noch schaden? Marius Grauweiler war schließlich tot. Oder hatte er einen Komplizen gehabt?
Handyklingeln unterbrach Manfreds Überlegungen. »Ja?«
»Manfred? Hier ist May Freeman. Rosemary ist aufgewacht.«
*
Sie hätte nicht warten sollen. Sie hätte gestern, nachdem sie die Nachrichten auf dem Handy gesehen hatte, sofort losfahren sollen, um Schlimmeres zu verhindern. Aber das hätte bedeutet, Entscheidungen zu treffen, eigene Entscheidungen, und das auch gegen die Interessen der anderen. Gegen die Interessen von Tom, der das alles ja schließlich ihretwegen getan hatte. Oder etwa nicht?
Sie schlug die Wagentür zu und steckte den Zündschlüssel ins Schloss. Doch sie drehte ihn nicht. Ihr fehlte die Kraft. Und der Mut. Beides hatte sie verloren, an jenem Tag im August, an dem sie auch ihre Unschuld verloren hatte. In mehrfachem Sinn.
Die drei Jungen hatten ihr sofort angemerkt, dass etwas nicht stimmte. War ja auch nicht zu übersehen gewesen; die zerrissene Bluse, die von Ranken zerkratzten, blutigen Beine, die Tannennadeln im Haar. Eine Weile hatten sie sie stumm angestarrt, zu entsetzt, um etwas zu sagen.
Dann war Thomas mit einem Mal knallrot im Gesicht geworden. »Wer war das?«, hatte er gebrüllt.
Sie hatte nicht sofort geantwortet, wie auch, sie war ja noch ganz benommen gewesen. Zudem hätte sie ihm ja nicht erzählen können, dass sie sich heimlich mit einem Mann im Wald getroffen hatte. Dann hätte seine Wut sich sofort gegen sie gerichtet.
»Wer war das?«, wiederholte Thomas. »Welches Schwein hat dir das angetan? Sag es mir, ich bring den Kerl um!«
»Ich – ich weiß nicht«, stammelte sie schließlich.
»Ein Fremder?«, fragte Klaus. »Wie sah er aus?«
»Es ging alles so schnell.«
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