Schwanenschmaus im Porterhouse
sich in seinem Zimmer auf seine Doktorarbeit zu konzentrieren. Hartnäckig drängte sich das Bild von Mrs. Biggs davor, eine Kreuzung zwischen einem Cherub in den Wechseljahren und einem gestiefelten Sukkubus. Zur Ablenkung nahm Zipser sich ein Buch mit hungernden Kindern in Nagaland vor, doch trotz dieser geistigen Kasteiung hielt Mrs. Biggs die Stellung. Er versuchte es mit Hermitschs Fallout und die Bewohner der Andamanen und sogar mit Sterilisation,
Vasektomie und Abtreibung von Allard, doch neben dem dominierenden Trugbild seiner Aufwartefrau versagten all diese heiligen Schriften. Es schien, als hätte sein soziales Gewissen, seine Besorgnis wegen der Misere der gesamten Menschheit, sein universelles und kollektives Mitleid für alle Menschen unter der chronischen Trivialität und dem Egoismus von Mrs. Biggs auf unsäglich private Art gelitten. Zipser, dessen Leben im Zeichen wahrhaft selbstloser Nächstenliebe gestanden hatte – an freien Tagen hatte er für RUSS, den Verein zur Rettung unserer schwarzen Schwestern und Brüder, gearbeitet –, und an dessen Engagement für die dritte Welt nichts auszusetzen gewesen war, fand sich plötzlich in der Rolle des Opfers einer sexuellen Veranlagung wieder, die seinen Universalismus der Lächerlichkeit preisgab. Aus lauter Verzweiflung nahm er sich Syphilis, Geißel des Kolonialismus vor, und starrte entsetzt auf die Abbildungen. Bisher hatte dieses Verfahren wie ein Talisman sexuelle Begierden im Keim erstickt und gleichzeitig seine Sehnsucht nach der Existenz einer natürlichen Gerechtigkeit befriedigt. Doch die Vorstellung, daß die Konquistadoren nach der Vergewaltigung südamerikanischer Indianerinnen an dieser Krankheit gestorben waren, hatte nun, da Zipser selbst den zwanghaften Drang verspürte, Mrs. Biggs zu vergewaltigen, ihre alte Anziehungskraft verloren.
Als es für ihn Zeit wurde, sich in der Wohnung des Kaplans zum Tee einzufinden, war Zipser mit seiner Weisheit am Ende. Das gleiche galt anscheinend für den Kaplan. »Ah, mein Junge«, dröhnte der Kaplan, als Zipser über die Nippes stieg, die das Wohnzimmer des Kaplans verstopften. »Nett, daß Sie gekommen sind. Machen Sie sich’s doch gemütlich.« Zipser quetschte sich an einem Grammophon mit Trichter aus Pappe vorbei, umging einen Tisch mit Messingplatte und durchbrochenen Beinen, lavierte sich unter den Wedeln einer Rizinuspflanze durch und nahm schließlich auf einem Stuhl am Kamin Platz. Während der Kaplan zwischen Badezimmer und Teetisch hin und her eilte, murmelte er vernehmlich eine Liturgie von Dingen vor sich hin, die er holen wollte. »Teekanne heiß. Löffel. Milchkännchen. Sie nehmen doch Milch?«
»Ja, bitte sehr«, antwortete Zipser. »Gut. Sehr gut. Viele nehmen doch Zitrone, nicht wahr? Solche Dinge vergißt man so leicht. Teewärmer. Zuckerdose.« Zipser sah sich im Zimmer nach Hinweisen auf die Interessen des Kaplans um, doch wie die Addition beliebiger Ziffern zu einem Code vereitelte das Chaos aus widersprüchlichen Objekten jede Interpretation. Abgesehen von ihrer Altersschwäche hatten die Möbel so wenig gemeinsam, daß sie auf einen gänzlich katholischen Geschmack hinzudeuten schienen.
»Hefefladen«, sagte der Kaplan, als er gerade aus dem Bad kam. »Genau das richtige. Die muß man rösten.« Er spießte einen Fladen auf eine Grillgabel und drückte sie Zipser in die Hand. Zipser hielt den Fladen zögernd in den Kamin und spürte wieder einmal die Loslösung von der Realität, die weitgehend das Leben in Cambridge bestimmte. Es war, als versuche jeder im College, sich selbst zu parodieren, als könne die Parodie einer Parodie eigene Realität werden. Hinter ihm stolperte der Kaplan über einen Schemel und stellte einen Honigtopf geräuschvoll auf die Messingtischplatte. Zipser griff sich den auf einer Seite angebrannten und auf der anderen eiskalten Hefefladen und legte ihn auf einen Teller. Er röstete den nächsten, während der Kaplan versuchte, den bereits halb getoasteten mit Butter zu bestreichen. Als er fertig war, glühte Zipsers Gesicht vom Feuer, und seine Hände waren klebrig von einer Mischung aus geschmolzener Butter und Honig. Der Kaplan lehnte sich in seinen Sessel zurück und stopfte seine Pfeife aus einer mit dem Wappen von Porterhouse geschmückten Tabaksdose.
»Bedienen Sie sich, mein lieber Junge«, sagte der Kaplan und schob die Dose in Zipsers Richtung.
»Ich bin Nichtraucher.«
Traurig schüttelte der Kaplan den Kopf. »Jeder sollte
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