Schwanenschmaus im Porterhouse
sich’s ja am High Table an nichts fehlen.«
Der Schatzmeister setzte zur Entschuldigung ein affektiertes Lächeln auf. Lady Mary ignorierte dieses Zeichen von Unterwürfigkeit. »Ich finde es wirklich bedauerlich, daß man so viel Geld hinauswirft nur, um das schlechte Befinden einer Handvoll ältlicher Collegemitglieder zu unterstützen.«
»Meine Liebe«, unterbrach Sir Godber, »du wirst erfreut sein zu hören, daß der Rat unsere Vorschläge akzeptiert hat.«
»Das wurde aber auch Zeit«, sagte Lady Mary und musterte den Schatzmeister voller Abneigung. »Zu den erstaunlichsten Eigenschaften der Bildungsinstitutionen dieses Landes gehört ihre Fähigkeit, sich Veränderungen zu widersetzen. Wenn ich überlege, wie lange wir schon auf die Abschaffung des Privatschulwesens drängen, komme ich aus dem Staunen nicht heraus. Die Stellung der Privatschulen scheint sich immer mehr zu festigen.«
Für den Schatzmeister, selbst das Produkt einer kleinen, in den South Downs gelegenen Privatschule, grenzten Lady Marys Worte an Blasphemie. »Sie sind doch nicht etwa der Ansicht, die Privatschulen sollten abgeschafft werden?« sagte er. An dem Tisch, wo Sir Godber Sherry einschenkte, klirrten Gläser. Lady Mary nahm eine neue arrogante Pose an.
»Muß ich Ihrer Bemerkung entnehmen, daß Sie die Privatschulerziehung befürworten?« fragte sie. Der Schatzmeister suchte nach einer beschwichtigenden Antwort. »Nun ja, sie hat sicherlich auch ihre positiven Seiten«, murmelte er schließlich.
»Welche?« fragte Lady Mary.
Doch bevor dem Schatzmeister einfiel, wie er das Privatschulsystem verteidigen könnte, ohne seine Gastgeberin zu kränken, kam ihm Sir Godber mit einem Glas Sherry zu Hilfe. »Sehr aufmerksam, Herr Rektor«, sagte er dankbar und nahm einen Schluck. »Und ein wirklich ausgezeichneter Sherry, wenn ich das so sagen darf.«
»Wir trinken keinen Sherry aus Südafrika«, warf Lady Mary ein. »Ich hoffe, das College hat keinen gelagert.«
»Ich glaube, wir haben etwas für die Studenten da«, sagte der Schatzmeister, »aber ich weiß genau, daß die ranghöheren Mitglieder das Zeug nicht anrühren.«
»Und sie tun gut daran«, sagte Sir Godber. »Ich dachte nicht an Geschmacksfragen«, fuhr Lady Mary fort, »sondern eher an die moralischen Bedenken gegen den Kauf südafrikanischer Produkte. Ich habe es mir zum Prinzip gemacht, südafrikanische Waren zu boykottieren.« Für den Schatzmeister, der seit langem die von Dekan und Obertutor am High Table geäußerten politischen Anschauungen gewohnt war, hörten sich Lady Marys Ansichten extrem radikal an; daß sie außerdem in einem Tonfall vorgetragen wurden, als halte sie eine Ansprache vor einer Versammlung lediger Mütter, machte ihn nervös. Er stolperte durch die heikle Problematik der Armut in der Welt, über die Bevölkerungsexplosion, Abtreibung, das Erdbeben in Nikaragua, die Gespräche zur Begrenzung strategischer Waffen sowie die Strafrechtsreform, bis ein Gong ertönte und sie zum Essen rief. Über dem Sardinensalat, der im Speisesaal als Hors d’ceuvre durchgegangen wäre, gewann seine Verlegenheit eine persönlichere Note.
»Sie sind nicht zufällig mit den Shropshire Shrimptons verwandt?« wollte Lady Mary wissen.
Der Schatzmeister schüttelte bedauernd den Kopf.
»Meine Familie stammt aus Southend«, sagte er.
»Wie überaus ungewöhnlich«, sagte Lady Mary. »Ich fragte nur, weil wir die Shrimptons vor dem Krieg oft in Bognorth besucht haben. Sue Shrimpton war mit mir oben in Somerville, und wir gehörten beide der Needham-Kommission an.« Stumm würdigte der Schatzmeister Lady Marys gesellschaftliche Stellung. Später würde er die nun erlittene Demütigung gut verwerten können. Noch jahrelang hörte er sich auf Sherry- Partys protzen: »Wie Lady Mary neulich zu mir sagte ...« oder: »Lady Mary und ich ...«, um damit klar zu teilen, wie hoch er über unbedeutenderen Männern und ihren Frauen stand. In solchen Kleinigkeiten fand der Schatzmeister Befriedigung. Auch Sir Godber aß seine Sardinen schweigend. Er war dem Schatzmeister dankbar, daß er eine Zielscheibe für die Monologe moralischer Rechtschaffenheit seiner Frau abgab. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn die Ungerechtigkeiten je verschwänden, an denen Lady Mary ihren moralischen Tick abreagierte. »Arme Leute wird es immer geben, Gott sei dank«, dachte er und nahm sich ein Stück Cheddar-Käse. An diesem Nachmittag war es an Skullion, das College auf dem Treidelpfad zu
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