Schwanentanz
Brandon keuchte. Es war mehr Schreck als Schmerz. Schreck und eisige Kälte. Er starrte auf seine Hose, auf den dunkelroten Fleck, der sich rasch ausbreitete. Der Alte zog ihm das Messer aus dem Fleisch, betrachtete die rubinfarbenen Tropfen auf der Klinge.
„Tut’s weh?“, fragte er ruhig.
Brandon wollte den Kopf schütteln, doch dann setzte der Schmerz ein. Er presste die Zähne zusammen, beobachtete, wie der alte Alec sein Blut mit Daumen und Zeigefinger von der Klinge zog, es prüfend zwischen den Fingern verrieb und daran roch. Dann setzte er die Messerspitze erneut an, dicht neben der Wunde.
„Ich frage noch mal nach deinem Alter, Junge aus dem Hügel.“
Brandon ballte die Fäuste, hob sie dicht vor seinen Körper und presste die Stirn gegen die Fingerknöchel. Er schloss die Augen. „Das habe ich dir schon gesagt.“
Diesmal kam der Schmerz sofort. Reflexartig schlug Brandon mit beiden Fäusten nach seinem Peiniger und erwischte ihn frontal im Gesicht. Alecs Nase brach mit einem schmatzenden Geräusch, der alte Mann stürzte zurück und fiel auf den Rücken. Brandon schaffte es nicht, auf die Füße zu kommen, ehe einer der Wachmänner bei ihm war. Der Mann trat ihm in den Unterleib. Brandon krümmte sich um den Schmerz zusammen, kassierte einen Kinnhaken, und bevor er sich versah, lag er wieder flach auf dem Rücken. Der Wachmann setzte seine Stiefelsohle über seine Kehle und presste ihm die Luft aus der Gurgel. Brandon sah bloß noch die nahezu ungeschützte Tür. Nur die Schulter des zweiten Wachmanns störte die Perfektion eines hell beleuchteten Rechtecks, das in die Freiheit führte. Ein Windzug strich ihm über die nackte Brust.
Raus! Es gab nur noch diesen einen Gedanken. Das Brennen in seinem Bein feuerte ihn an. Er musste hier raus.
Er riss sich das Messer aus dem Oberschenkel. Legte alle Kraft in eine einzige, zielgerichtete Aufwärtsbewegung. Er rammte seinem Gegner die Klinge in die Kniekehle, spürte jede Schicht, die das Messer durchtrennte. Jeansstoff riss mit einem Ratschen. Die Haut gab nach. Durch das Fleisch glitt die Klinge wie durch Butter. Zähe Sehnen hatten keine Chance. Das Gelenk krachte. Die Kniescheibe sprang zur Seite und die Messerspitze stach vorn aus der Hose heraus. Blut spritzte bis in Brandons Gesicht. Heiß und salzig auf seinen kalten Lippen. Brandon drehte das Messer. Der Mann schrie wie am Spieß, knickte zur Seite und griff noch im Fallen, beim Versuch, die Klinge zu fassen, in die Schneide.
Brandon warf sich herum, kroch auf allen vieren in Richtung Tür. Alec berappelte sich, hob einen Fuß und trat zielgerichtet nach seinem Gesicht, doch Brandon bekam den Stiefel des Mannes trotz der Handschellen an Spitze und Ferse zu fassen. Er drehte ihm den Fuß um. Der Alte brüllte, keuchte und rollte sich über den feuchten Boden. Der Weg war beinah frei. Beinah …
Er hatte erwartet, dass der zweite Wachmann eine Pistole ziehen würde. Dem ersten Schuss hätte er vielleicht ausweichen können. Der kurze Moment, bis die Waffe wieder einsatzfähig war, hätte ihm gereicht, um den Mann zu überwältigen. Nicht umsonst war er der Beste unter den Sídhekriegern. Doch der Mann hob keine Waffe. Stattdessen machte er einen Schritt zur Seite und verstellte mit seinem bulligen Körper die Tür und damit das Licht, das von draußen in den Kellerraum fiel. In seiner Rechten lag ein Brecheisen, was er in der anderen Handhielt, konnte Brandon nicht sehen. Es tat auch nichts zur Sache; er setzte alles auf eine Karte und warf sich dem Mann entgegen. Sein Gegner grunzte und drosch mit dem Brecheisen nach ihm. Der Schlag streifte Brandon nur an der Schulter, er lehnte sein ganzes Körpergewicht auf die Eisenstange, damit die Hebelwirkung verhinderte, dass der Mann die Waffe erneut heben konnte. Gleichzeitig rammte er ihm den Kopf in die Weichteile. Der Mann schrie, ein zu schrilles Geräusch für einen solchen Hünen. Im nächsten Moment traf Brandon etwas Kaltes an der Schläfe. Aus dem Augenwinkel erkannte er, was es war: ein Schraubenschlüssel, lang wie ein Unterarm. Die Erkenntnis nützte ihm nichts mehr. Sein Sichtfeld schrumpfte zusammen, seine Glieder wurden schwer, jeder Gedanke tranig und zäh. Er sah weitere Schläge kommen, sie kamen aus allen Richtungen, aber er konnte ihnen nichts mehr entgegensetzen, vermochte ihnen nicht einmal mehr auszuweichen.
Er wurde auf den Rücken geworfen, ins Blut des Mannes, dem er das Bein zerfetzt hatte. Sie fixierten seine
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