Schwanentanz
hin? Aber er hatte doch gesagt, er würde nie … Hatte sie ihn ungewollt verraten? Bitte nicht! Sie riss sich zusammen, durfte sich nun nichts anmerken lassen. „Ich hoffe, er kann Ihrem Vater helfen“, sagte sie kühl. Der Mann warf ihren Ausweis auf den Tisch. Das Foto ihrer Eltern behielt er.
„Es tut mir wirklich leid, was passiert ist“, meinte er, dann ging er.
Sie hörte einen Wagen vorfahren und hastete nach oben, denn nur dort gingen die Fenster nach vorn raus. Es war wieder der Lieferwagen, aber er fuhr bereits, so konnte sie das Nummernschild nicht ausmachen. Die Schläger saßen auf der Ladefläche, zwischen ihnen lag etwas, was man mit Fantasie für einen zugedeckten, reglosen Menschen halten konnte. Suzanna hatte heute entsetzlich viel Fantasie. Mit einem leisen Fluch auf den Lippen presste sie die Stirn gegen die Scheibe. In ihrem Kopf wütete ein hitziges Durcheinander. Du hast ihn verraten, wegen dir ist er in Gefahr, flüsterte es. Aber ebenso: Halte dich raus. Es geht dich nichts an, du darfst für diesen dubiosen Mann nicht deine Familie gefährden.
Ignorieren, was sie gesehen und gehört hatte, klang einfach, war allerdings nicht möglich. Wenn sie blinzelte, sah sie Brandons misstrauischen Blick, der für sie, ganz allein für sie, zu einem Lächeln wurde. Sie konnte jetzt noch jede Stelle ihrer Haut benennen, die er berührt hatte; wusste, wo er sie sanft gestreichelt, und spürte, wo er sie fordernd und hart gepackt hatte. Und wie sehr sie das erregte. Noch immer. Nein, was immer auch da passierte, sie musste wenigstens versuchen, ihm zu helfen. Bloß wie? Ob er wirklich auf der Ladefläche des Wagens gelegen hatte, konnte sie nicht sagen. Selbst wenn, woher sollte sie wissen, wo sie ihn hinbrachten? Sie fand ihren leeren Blick im Spiegel, starrte sich an, als könnte ihr Spiegelbild einen Tipp geben. Es schwieg sie an.
„Denk nach, Sue“, fauchte sie und schlug mit der flachen Hand gegen die Fliesen. Und da war er, der Gedanke.
Liz.
Der alte Alec musste die Informationen von ihr haben, und wenn Liz ihm etwas über Suzanna erzählte, dann erzählte sie Suzanna vielleicht auch etwas über den alten Alec. Wie hatte diese Kuh sie so schändlich verraten können? Ging vielleicht auch die Sauerei mit dem Salz in ihrem Wagen auf Liz’ Kappe? Egal, solange sie nur endlich etwas tun konnte, was auch immer. Rasch humpelte sie ins Erdgeschoss, schlüpfte in ihre Sandalen undging zum Wagen. Der Tigra war noch offen, der Schlüssel lag im Fußraum. Suzanna startete mit zu viel Gas, sodass der Motor ihre Wut hinausgrollte. Sie schlug den Gang rein, ignorierte die erlaubte Höchstgeschwindigkeit und jagte nach Carryglen.
Wo war er?
Ein stetes Tröpfeln raubte Brandon den letzten Nerv. Tropf. Tropf. Tropf. Es war das Erste, was er von seiner Umgebung wahrnahm, als er zu sich kam. Licht gab es in seinem Gefängnis kaum. Allein in einer Ecke schimmerte ein schwacher heller Streifen, vermutlich ein halbherzig zugemauertes Fenster. Er spürte eine feuchte Wand in seinem Rücken. Wie in Caras Folterkammer hing der Geruch von Moder, faulendem Wasser und Schimmel in der Luft. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten und er seine Hand- und Fußschellen sehen konnte, schwand die Hoffnung, in Caras Keller gelandet zu sein. Seine Fürstin bevorzugte Leder, Seil oder silberne Handfesseln mit Kettengliedern. Die starren Schellen aus Stahl, die seine Gelenke fesselten, hätte sie nicht einmal berühren können. Als Tochter vom Volk der Sídhe reagiere sie hochgradig allergisch auf Eisen. Ein wenig dieser Unverträglichkeit musste auf ihn übergegangen sein. Vielleicht mit der Magie, die sie über ihn wirkte. Unter den Fesseln juckte seine Haut und schwoll an, als hätten ihm Wespen die Gelenke zerstochen.
Er musste gründlich eins auf die Mütze bekommen haben, doch langsam kehrten die Erinnerungen zurück. Der Tauchgang ins Tosbecken. Die beiden Männer, die ihn herausgefischt hatten wie einen Aal. Der alte Alec. Die Tritte. Die Kerle hatten ihn hier eingesperrt; die Frage war nur: aus welchem Grund?
Schritte ertönten. Auf der anderen Seite des Raumes schälten sich die Umrisse einer Tür aus dem Dunkeln. Dahinter hörte er eine tiefe Stimme etwas raunen, darauf klapperte ein Schlüssel im Schloss und die Tür ging auf. Brandon blinzelte direkt in den Lichtkegel einer Taschenlampe.
„Der is’ wach“, rief ein Mann den Flur hinunter.
Weitere Schritte erklangen, zwei Männer drückten
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