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Schwanentanz

Schwanentanz

Titel: Schwanentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Francis
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ihr ausging. Die kleinen Wesen huschten in eine Lücke, die sich zwischen den Wurzeln der alten Eiche aufgetan hatte. Es sah aus wie der Eingang in einen großzügig gegrabenen Fuchsbau und war am Abend noch nicht dagewesen. Unter Suzannas ungläubigen Blicken zogen sich die Wurzeln zusammen. Der Baum knarrte und stöhnte wie vom Sturm geschüttelt, aber er bewegte sich nur dort, wo er fest mit der Erde verbunden sein müsste. Erdbrocken wurden verschoben, Anhäufungen zu beiden Seiten des Baumes glätteten sich, als zöge jemand die Falten aus einem Tischtuch. Der Durchgang verschwand, wurde unsichtbar, als hätte es ihn nie gegeben. Suzanna presste die Hand so sehr um die Messingleuchte zusammen, dass das dünne Metall nachgab und sich beulte.
    „Kommt zurück“, hauchte sie und kniete an der Stelle nieder, an der die Wesen verschwunden waren. Sie klopfte gegen das Holz, wühlte mit den Fingern in der lockeren Erde. „Bitte. Kommt zurück, ich tue euch nichts. Ich muss euch etwas fragen, bitte.“
    Sie zweifelte nicht an, dass die Wesen sprechen konnten, aber wer wusste, ob sie Englisch sprachen. Ob sie sie überhaupt noch hören konnten? Selbst wenn sie das Ohr an den Baumstamm legte, vernahm sie nichts. Verdammt. Die Wesen waren sicher nicht das, was Liz als Sídhe bezeichnet hatte, aber sie lebten offenbar in der Erde. Im Hügel. Wenn es eine Verbindung zum Feenvolk gab und wenn jemand wusste, wo dieses sich versteckte, dann waren es diese kleinen, so erschreckend menschlichen Kreaturen. Und sie waren ihr entwischt.
    „Das darf doch nicht wahr sein.“ Sie stöhnte und rieb sich die Stirn, worauf Erde auf ihrer Haut kleben blieb. Verwirrt zwischen ihrem Schrecken, der Faszination und der Enttäuschung stand sie auf und hinkte in Richtung ihres düsteren Häuschens. Da huschte plötzlich ein kleiner Schatten an ihr vorbei. Zuerst hielt sie es für ein Tier, denn seitdem die Pforte im Baum geschlossen war, raschelten wieder Mäuse im Unterholz und Nachtvögel riefenmit melancholischen Stimmen. Doch als sie ein Wispern hörte, wandte sie sich um. Tatsächlich, es war eines der Wesen. Es kratzte an der Eichenborke und knurrte vor sich hin. Suzanna trat vorsichtig näher, und das Wesen warf sich herum, den Rücken fest an den Baumstamm gepresst. Und dann musste sie fast lachen, denn das bärtige kleine Männlein sagte mit leiser, aber gut verständlicher Stimme und in bestem Englisch: „Ach je. Jetzt steck ich aber mal echt in der Scheiße!“

     
    Neuigkeiten sprachen sich im Síd schnell herum, und schlechte Neuigkeiten verbreiteten sich wie Lauffeuer. Aiden erfuhr aus etlichen kleinen Mündern, dass es zu ‚der großen Katastrophe‘ gekommen war, die die Gnome immer als Schaudermärchen ihren Kindern erzählten, um sie zur Vorsicht zu mahnen. Einige von ihnen waren beim Kräutersammeln erwischt worden.
    Angeblich hatte ein schrecklicher Troll sogar einen von ihnen gefangen und würde ihn nun mit Gewissheit auf einen Spieß stecken und über dem Feuer rösten. Nun ja, sie übertrieben manchmal. Doch ganz unbesorgt war Aiden nicht. Seine Befürchtungen gingen in die Richtung, dass Menschen einen Gnom in einen Käfig stecken und im Zoo ausstellen würden. Brandon prophezeite gar, ein gefangener Gnom würde getötet und seziert werden. Schließlich wusste ein jeder, wie überaus mächtig das Blut der Gnome war. Sie waren sich einig, dass Menschen mit Schaufeln und Baggern kämen, um nach weiteren Gnomen zu suchen, wenn sie erst einen in den Händen hatten. Nein, gut ging es Aiden mit den Gerüchten nicht, auch wenn er noch immer nicht wieder in der Lage war, Angst um einen Gnom zu empfinden. Das Gefühl fehlte einfach und an seiner statt breitete sich eine dumpf ziehende Leere aus. Er konnte Dwyn nicht finden. Und zu allem Überfluss war auch noch Brandon nach dem Streit am Morgen verschwunden und bisher nicht zurückgekehrt. In gewisser Hinsicht war dies ein gutes Zeichen. Offenbar war es Cara nicht eilig damit, Seamus rituell an sich zu binden. Für die Zeremonie würde sie alle zu sich rufen, und ihren persönlichen Liebling Brandon an ihre Spitze stellen. Solange er nicht im Síd war, war Seamus mehr oder weniger in Sicherheit. Aiden hatte es nicht über sich gebracht, zu seinem Bruder zu gehen. Als Kind hatte er Cara angefleht, Seamus zu holen und nicht zuzulassen, dass die Eltern auch ihn misshandeln würden. Er hatte damals nicht geahnt, was der Preis für das sorgenlose Aufwachsen im Síd war.

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