Schwanentanz
sie, ob er auf den Namen reagierte, „wollte mit mir sprechen. Das ist ihm zum Verhängnis geworden. Ich weiß es nicht genau, aber ich fürchte, man hat ihn entführt. Ich brauche Hilfe, ich habe Angst um ihn.“
Aiden beobachtete die Frau, wie sie ihr schwarzes Haar im Nacken teilte und unsicher mit den Fingern durch die Strähnen fuhr. Sie hatte ihr Schicksal selbst besiegelt. Er hätte sie fortgeschickt, sie niemals zu Cara gebracht, die mit ihr nach Lust und Laune spielen würde. Doch er konnte Brandon nicht im Stich lassen. Jeden anderen, aber nicht seinen Freund. War Brandon im schlimmsten Fall das Leben dieser Menschenfrau ohne Namen wert?
Für Aiden schon.
„Ich heiße …“
„Ich will es nicht hören“, unterbrach der Mann Suzanna und lächelte entschuldigend.
Was für ein eigenartiger Kerl. Er wirkte nachdenklich und strahlte etwas aus, was sie nur von uralten Menschen kannte, die schon alles gesehen hatten. Dass er, wie behauptet, wie sie ein Mensch sei, war schwer zu glauben, dabei sah an ihm nichts unmenschlich aus. In der Stadt hätte sie ihn für einen Studenten gehalten. Literatur, vermutlich, zumindest klang seine Stimme danach. Der Körper wirkte eher wie der eines Boxers. Er war nicht besonders groß, hatte aber sehr breite Schultern, die er ein wenig nach vorn zog. Er bewegte sich, als hätte er Rückenschmerzen.
Ihre Aufmerksamkeit verlagerte sich, als er sie mit einer Geste in den Höhleneingang bat.
„Taschenlampe aus“, verlangte er.
Sie tat es und kroch auf allen vieren durch den Tunnel, um festzustellen, dass dieser sich nach einem knappen Meter schon wieder weitete. Ehe sie aufstand, drückte sie einen Eisennagel ins Wurzelwerk der Eiche, wie Liz ihr geraten hatte. So würde das Hügelvolk den Durchgang nicht schließen und sie einsperren können. Sie dankte der Irin im Stillen für die Tipps. „Nimm keine Speisen an, die man dir anbietet, sondern bitte um etwas anderes“, hatte Liz gesagt. „Sie bedienen sich der Alchemie und versetzen gerne das Essen. Tanze nicht mit ihnen, denn Sídhetänze führen in den Tod, und sei immerzu auf der Hut. Sei bereit, zu handeln, sie lieben guten Handel, und versuche stets, sie zu überraschen und gut zu unterhalten.“
Sie vergewisserte sich, dass sowohl die Eisenklinge an ihrem Platz in der Tasche verborgen war als auch die kleinen Salzrationen, die sie überall am Körper versteckt hatte, falls man sie durchsuchen wollte. Doch danach fragte niemand. Der Tunnel mündete in einen Gang, in dem sie neben ihrem Führer gehen konnte. Er fasste sie am Arm, um sie durch die Dunkelheit zu geleiten und ließ sie nach der ersten Kurve wieder los. Hier erhellten Fackeln und Öllampen die Gänge. Ein mutiges Unterfangen, waren doch Böden, Wände und Decken mit grobschlächtigem Holz verkleidet. Sprinkleranlagen gab es gewiss keine.
Ihr Führer sprach nicht, daher folgte sie ihm schweigend und behielt die Umgebung im Auge. Wo Gänge abzweigten, glaubte sie zu erkennen, wie sich weitere kleine Wesen hinter den Ecken verbargen. Ihre Augen blinktenim flackernden Licht auf, dann verschwanden sie rasch wieder, versteckten sich. Sie hörte kaum wahrnehmbares Flüstern, Rascheln und hin und wieder ging ein leises Ächzen durch die Gänge, als würde sich die Erde bewegen und die Holzkonstruktion darunter stöhnen. Dass hier unten Menschen lebten, oder was immer sie auch waren, konnte sie kaum glauben. Nach einer Kurve führte der Korridor auf einen Durchgang zu, der zur Hälfte von schweren Vorhängen verdeckt war. Dahinter erkannte sie einen großen, hell erleuchteten Raum. Ihr Führer hielt den Vorhang auf und nickte ihr zu.
„Lady Cara, die Fürstin der Sídhe von Terra, erwartet dich. Ich werde hier warten. Hab keine …“, er schüttelte den Kopf, als wäre er im Begriff, Unsinn zu reden. „Beleidige sie nicht. Viel Glück.“
Suzanna musste schlucken. Himmel, was tat sie hier? Sie wiegelte ihre Angst ab. Zusammenreißen! Sie war bis hierhergekommen, sie würde weitergehen. So einfach war das.
Ihr „Danke“ geriet schwach, aber sie ging an ihm vorbei, trat in den Raum und sah sich um. Der Saal war mit Regalen gesäumt, die bis an die vier Meter hohe Decke reichten. Bücher schmiegten sich darin aneinander, uralte Bücher, jedes sicher ein Vermögen wert. In anderen Fächern fanden sich Skulpturen, Statuetten aus Stein, Holz, Silber … Gold. Sie stellten Tiere dar, Menschen und Fabelwesen, die zur Hälfte das eine und das andere
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