Schwangerschaft ist keine Krankheit
empfehlen.
Â
Beratung ist nicht gleich Beratung
Geschichten wie die von Marie sind in Deutschland also kein Einzelfall. Die Art und Weise der Beratung durch Frauenärzte hat hier einen ganz entscheidenden Einfluss.
Doch warum hat Maries Frauenärztin so gehandelt? Warum hat sie so auffordernd zu einer weiteren vorgeburtlichen Diagnostik geraten? Sicher nicht aus Berechnung oder mangelnder Kenntnis. Hinter ihrem Handeln steht eher die eigene rechtliche Absicherung als Frauenärztin. Die Frauenheilkunde ist in den vergangenen Jahren zu der am stärksten haftungsrechtlich belasteten Fachrichtung in der Medizin geworden. Nicht ohne Grund bezahlt beispielsweise ein Frauenarzt, der geburtshilfliche Belegbetten hat, also selbstständig Geburten betreut, jährlich eine Summe von bis 25 000 bis 40 000 Euro Haftpflichtversicherung.
In der Leitlinie zu den Beratungs- und Aufklärungspflichten während der Schwangerenbetreuung wird darauf hingewiesen, dass viele ärztliche Haftungsfälle nicht auf einer fehlerhaften Behandlung beruhen, »sondern allein darauf, dass der Arzt seinen Beratungs- und Aufklärungspflichten nicht nachgekommen ist oder dies nicht beweisen kann« (AWMF-Leitlinie Nr. 015/043).
Wer als Arzt eine Schwangere im Alter über 35 Jahren nicht ausreichend darüber aufklärt, dass ihr grundsätzlich eine vorgeburtliche Diagnostik zur Verfügung steht, der wird schlimmstenfalls haftbar gemacht, wenn ein behindertes Kind geboren wird.
Unter dem Titel »Das Kind als Schadensfall« gingen derartige Urteile seinerzeit durch die Presse. Diese Furcht steckt den Frauenärzten in den Knochen. Diese Furcht geben sie an schwangere Frauen wie Sie weiter. Das führt immer wieder zu einem gezielt beeinflussenden Beratungsstil mit Redewendungen wie »Sie sollten aber schon â¦Â«, »Ich würde Ihnen dringend zu folgender Untersuchung raten« oder »Weitere Untersuchungen sind unbedingt angezeigt«. Solche Formulierungen setzen Sie in Ihrer Entscheidung unter Druck. Bei vielen Schwangeren entsteht der Eindruck, dass frau »das mit der vorgeburtlichen Diagnostik eben ab einem bestimmten Alter so macht«.
Es wird verschleiert, dass es sich hier um die individuelle und bewusste Entscheidung handelt: Welche Untersuchung lasse ich durchführen â und mit welchen möglichen Konsequenzen?
Manchmal kommt in der Beratungssituation aber auch die eigene Anschauung und Einstellung des Arztes zum Tragen. Maries Frauenärztin hat ihr vielleicht wohlmeinend das geraten, was sie selbst in dieser Situation getan hätte. In der Beratungssituation sollte aber die eigene Einstellung und Meinung des Arztes keine Rolle spielen. Vielmehr sollten Sie ausreichend sachliche Informationen erhalten, um die Grundlage für eine eigene Entscheidung zu erhalten. Häufig werde ich in solch einer Situation gefragt: »Was würden Sie denn jetzt an meiner Stelle tun?« Da ist es manchmal schon schwer, zu widerstehen. Aber die ganz persönliche Einstellung des Arztes gehört nun einmal nicht in ein solches Gespräch.
Was hingegen ganz sicher in die Beratung zwischen Frauenarzt und schwangerer Frau gehört, ist das »Recht auf Nichtwissen«.
Es mag für manche Paare unerwartet sein, wenn sie auf dieses Recht hingewiesen werden. Wir sind heute gewohnt, immer alles wissen zu wollen, über jedes Detail informiert zu werden. Unser Recht auf Wissen ist uns heute selbstverständlich â das Gegenstück dazu eher nicht.
Zum Vergleich: Wenn wir unser Auto zur Reparatur oder zum Check-up in die Werkstatt bringen und es dann wieder abholen, erwarten wir eine Prüfliste und abgearbeitete Checklisten, eine professionelle Fehlersuche und gegebenenfalls die Reparatur des defekten Teils oder Einbau eines neuen Originalteils samt Lackierung. Wie würden wir wohl reagieren, wenn der Werkstattmeister uns nach dem Check-up darauf hinweisen würde, dass wir ein »Recht auf Nichtwissen« haben? Nun, ich denke, unsere Reaktion wäre ziemlich ungehalten.
Obwohl inzwischen sogar die Arztpraxen vom Technischen Ãberwachungsverein (TÃV) zertifiziert und vom Deutschen Institut für Normung (DIN) überwacht und damit geformt werden, gelten hier ganz andere Werte: Ungeborene sind keine unbelebten Gegenstände, die gecheckt und dann bei Bedarf repariert oder »ausgebaut« werden, sondern sie sind eben kleine, beseelte, noch nicht auf
Weitere Kostenlose Bücher