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Schwartz, S: Blutseelen 1: Amalia

Schwartz, S: Blutseelen 1: Amalia

Titel: Schwartz, S: Blutseelen 1: Amalia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Raubtiers. Blut bedeckte das makellose, weiße Gesicht.
    „Niemals“, flüsterte eine kalte Stimme in ihrer Erinnerung. „Höre auf meine Worte: Niemals sollst du dich erinnern! Eher wirst du sterben!“
    Amalia schreckte zurück. Sie fühlte innerlich, dass sie diese Frau kannte. Dass die Fremde Teil von einem vorherigen Leben war. Es stimmte alles. Sie war in Frankreich gewesen, als Sklavin von Aurelius oder zumindest einem seiner Vorfahren. Sie kannte ihre Geschichte und spürte zugleich, dass sie gar nichts wusste. Sie war eine Nussschale, die auf dem Meer in einem Sturm hin- und hergerissen wurde. Ihr Magen brannte, ihr Herz schlug hart und schmerzhaft in ihrer Brust. Ihr Kopf schien in Flammen zu stehen.
    „Nein!“, keuchte sie auf. Sie stieß den verwirrt dreinblickenden Aurelius zurück, sprang auf und lief blindlings davon. Ihre Angst war ein schwarzer Mantel, der sie kalt und vernichtend umgab. Sie rannte, als sei der Teufel hinter ihr her.
    „Amalia!“
    Er rief nach ihr. Doch sie hetzte vorwärts, schlug sich zwischen zwei Büschen hindurch. Zweige peitschten in ihr Gesicht und hinterließen brennende Striemen. Das Gefühl in ihrer Brust drohte, sie zu zerreißen.
    Nein, das war nicht möglich. Es gab keine vorherigen Leben!
    Ihr Verstand kämpfte verzweifelt, aber das Gefühl war übermächtig. Panik überfiel sie. Sie musste weg. Weg von Aurelius. Weg von seinen Freunden. Sie waren Teufel! Bluttrinker! Dämonenbrut, allesamt!
    Sie spürte, wie ihr lose geschnürtes Korsett immer tiefer rutschte, doch in ihrem Zustand war ihr das gleich, sie wollte nur fort. Auch ihre Hose verhakte sich an einem Strauch und riss. Sie rannte weiter. Fort von ihm. So schnell sie ihre Beine trugen. Weiter und weiter, ohne innezuhalten. Bis sich die Welt plötzlich überschlug. Erst war etwas an ihrem Fuß – eine Hand, die sie packte, oder eher eine Wurzel – dann stürzte sie einen Abhang hinab. Himmel und Gras wechselten einander. Sie überschlug sich mehrmals, ehe sie mit einem erstickten Schrei auf dem Boden eines Grabens landete. Sie hörte das Plätschern von Wasser. Der Himmel über ihr verdunkelte sich. Sie spürte, wie ihr Bewusstsein schwand. Stöhnend griff sie sich an den Kopf. Dort war etwas Feuchtes. Sie versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, doch die Ohnmacht riss sie unaufhaltsam mit sich.
    Der Graben samt dem Park war auf einmal verschwunden. Sie fand sich in einem Wald wieder. Mitten im Schnee. Kälte umgab sie. Ihre Beine schmerzten und sie fror erbärmlich. Fahles Licht fiel zwischen den Baumkronen hindurch. Irgendwo jaulte ein Wolf.
    Es war dieses Jaulen, das sie zum Aufstehen brachte. Hustend kämpfte sie sich auf die Füße. Der Wolf war ganz in ihrer Nähe und der Winter war hart. Mehrfach hatte sie in Paris Berichte über Wölfe gehört, die nicht nur Vieh rissen, sondern auch Menschen angriffen. Sie hatte gehofft, dass es nur die üblichen Klatschgeschichten der alten Frauen in ihrer Gasse waren. Übertreibungen. Doch in diesem Augenblick wollte sie sich nicht auf Vermutungen und Hoffnungen verlassen. Sie musste weiter. Seit drei Tagen war sie unterwegs und hatte kaum geschlafen. Ihr Körper war kraftlos, doch der Überlebenswille zwang sie vorwärts. Sie sah sich in dem wuchernden Waldstück um. Schneebedeckte Tannen und kahle Laubbäume umgaben sie wie stumme Wächter. Es war so still, wie es im Herzen von Paris niemals war. Selbst die Vögel schwiegen. Die einzigen Geräusche in dieser weißen Winterpracht waren ihr Atem, der dampfend aus ihr wich, und das leise Rieseln des Schnees, der sich auf Äste und Eiskrusten setzte.
    Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass sie ihre Füße kaum mehr spürte. Es war nicht ihr erster Winter in der Wildnis. Aber der erste Winter ohne Hoffnung.
    Erneut durchbrach das Jaulen eines Wolfes die Stille. Dieses Mal klang es näher.
    „Maria, steh mir bei“, flüsterte sie in die Kälte. Der Wolf hatte sie gewittert. Sie sah sich im Gehen die umstehenden Bäume an. Dort vorne. Da stand eine Kiefer mit tief herabhängenden Ästen. Das Jaulen erklang erschreckend laut. Der Wolf hatte sie fast erreicht.
    Sie lief immer schneller, hetzte wie ein gejagtes Reh auf den Baum zu.
    Im Laufen sah sie den Wolf, der neben ihr zwischen Büschen und Bäumen hervortrat, lautlos und anmutig eine Pfote vor die andere setzend. Das grauschwarze Fell war gesträubt, das Maul geöffnet. Zwischen den Lefzen ragten scharfe Zähne hervor. Das Tier sah sich um, als

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