Schwartz, S: Blutseelen 1: Amalia
Haut zu spüren. In Gedanken sah sie, wie sie sich ihm hingab, während Aurelius und die fremde Frau spöttisch lächelnd über ihr standen. Aurelius‘ Stiefel ragten vor ihrem Gesicht auf, während sie in ihrer Fantasie gefangen am Boden lag und zu ihm aufsah.
Ihr war unerträglich heiß.
Sie wünschte sich Ruhe, eine Pause, gleichzeitig hätte sie niemals darum gebeten. Aurelius in ihr erfüllte sie so vollkommen, dass sie ihn nie wieder gehen lassen wollte. Dieser eine Augenblick sollte ewig dauern.
Er war unnachgiebig, ganz in seiner Ekstase gefangen. Seine Hände hielten sie mit erschreckender Kraft fest. Wieder war sie sich bewusst, wie leicht er sich alles, was er von ihr haben wollte, nehmen konnte. Sie fühlte ihn in sich, spürte, wie er heftiger wurde. Sie kamen gleichzeitig. Er verströmte sich in ihr.
Amalia unterdrückte einen Schrei, wusste nicht, wohin mit sich und biss ihm in die Schulter. Es war kein sanfter Biss, aber Aurelius störte sich nicht daran. Er presste sie an sich, als wolle er sie nie wieder loslassen.
Aber er ließ sie los. Nur wenige Augenblicke später. Sein Körper war angespannt. Amalia glitt auf den Boden, während er einen Schritt nach vorne machte.
Langsam öffnete sie die Augen. Das Pärchen auf der anderen Seite der Lichtung war verschwunden. Stattdessen stand da ein Mann, der sich in diesem Augenblick zu ihr umdrehte. Er wirkte sonderbar. Alles an ihm war Grau. Graue lange Haare, ein dunkelgrauer Mantel, grauschwarze Stiefel. Die Haare waren ungepflegt, fielen in wirren Strähnen über ein Gesicht, in dem weiße Linien aufgemalt waren. Sie bildeten ein ornamentales Muster.
Amalia zog scharf die Luft ein.
Narben. Das mussten Narben sein. Wer sie ihm wohl zugefügt hatte? Oder hatte er sich das selbst angetan?
Ein Blick aus grauen Augen begegnete ihr. Amalia begriff, dass dieser Mann in der Menge untergehen konnte. Selbst auf dem WGT fiel er nicht auf, obwohl seine Kleidung weder streng historisch noch schwarz war. Aber wer ihm erst einmal in die Augen gesehen hatte, der würde ihn nie wieder vergessen. Diese schiefergrauen Augen, leicht schräg gestellt, die sie nun gesehen und als Ziel erkannt hatten. Der Fremde setzte zum Sprung an.
Plötzlich geschah alles gleichzeitig. Sie schrie auf, während sie herumgewirbelt wurde.
„Versteck dich!“, herrschte Aurelius sie an.
Amalia griff nach ihrer Kleidung und der Tüte und robbte rückwärts, zurück Richtung Lager, als Aurelius und der Grauhaarige aufeinanderprallten. Ihre Körper krachten so laut zusammen, dass Amalia im Robben innehielt.
Das gab es nicht. Das konnte nicht sein.
Aurelius hatte den Grauhaarigen mit beiden Armen an der Schulter gepackt, und der hielt ihn ebenso. Sie sahen aus wie zwei Ringer, die ihre Kräfte maßen, doch keiner gewann einen Vorteil. Das Erstaunliche aber war, dass sie beide noch standen. Nach der Wucht, mit der sie eben aufeinandergesprungen waren, hätten ihre Knochen brechen müssen.
Amalia wollte fliehen, aber die Faszination hielt sie ab. Mit angehaltenem Atem starrte sie auf das Paar. Gewaltige Kräfte schienen zu wirken, als beide versuchten, die Position zu ändern, es aber keinem gelang. Immer verhinderte der andere einen Angriff, blockierte ihn schon in der Entstehung.
„Aurelius“, knurrte der Grauhaarige. „Dieses Mal bekommen wir dich!“ Seine Stimme war rau, erinnerte an eine irdene Höhle tief unter der Erde, kalt und tot. Ein osteuropäischer Akzent lag darin.
„Marut“, sagte Aurelius. Seine Stimme klang kultiviert, die Betonung präzise. Auch sie war dunkel, schwarzer Samt, der nackte Haut umschmeichelte, selbst jetzt, wo er wütend klang. Seine Worte waren eine Verwünschung, keine Begrüßung.
Sie kannten einander. Amalia atmete langsam ein und aus. Und was hatte dieser Marut da eben gesagt? Wir? War er nicht allein?
Auch Aurelius schien das zu vermuten, denn er sah sich kurz um – eine Unaufmerksamkeit, die ihm einen Nachteil brachte. Marut drängte ihn zurück und überrannte ihn. Er kam über ihn auf den Boden. Beide Männer überschlugen sich. Graues und braunes Haar wirbelten über Gras und Moos.
Amalia sah sich ebenfalls auf der Lichtung um, und erblickte eine weißhaarige Frau mit rot glitzernden Augen. Diese trat eben an den Rand der Lichtung und war ganz auf Aurelius und seinen Gegner fixiert. Es war die Frau, die sie bereits in der Sixtina gesehen hatte.
Kreatürliche Angst fuhr bei ihrem Anblick durch Amalias Körper. Sie wusste
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