Schwartz, S: Blutseelen 2: Aurelius
Raumes. „Du erinnerst dich nicht an sonderlich viel, oder? Du hast keinen Zugriff auf all deine Erinnerungen. Noch beherrschen sie dich, und nicht du sie.“
Amalias Hals wurde eng. Rene klang, als wolle sie auf etwas Bestimmtes hinaus. „Ich ...“
„Leugne es nicht. Du hast Erinnerungen an mich, aber nicht alle.“ Sie drehte sich zu Amalia um. „Eine deiner Vorfahrinnen hat mich fast getötet. Ich habe einen persönlichen Hass auf die Priesterinnen, und ich werde Kim nicht gehen lassen.“
„Aber ...“ Amalia wusste nicht, was sie sagen sollte. Die Kälte in ihrem Inneren breitete sich aus. Es war, als sei die Angst in ihr zu Eis gefroren.
„Du fragst dich, warum ich Kim holen lasse?“ Ein verschlagenes Lächeln erschien auf Renes Lippen. „Das wirst du gleich sehen. Sie ist schon auf dem Weg.“
Die Tür des Raumes öffnete sich und eine kahl rasierte Frau mit leeren Augen trat ein. Ihr Blick traf Amalia, aber auf ihrem Gesicht zeigte sich kein Erkennen. Sie trug die Tätowierung einer Orchidee auf dem Kopf und starrte ins Nirgendwo wie ein Zombie.
„Kim!“ Amalia sprang auf und nahm die Freundin in die Arme. Sie rührte sich nicht.
Sie sah zu Rene. „Was hast du mit ihr gemacht?“, fragte sie verzweifelt. Die Kälte raubte ihr den Verstand. Sie spürte ein Zittern, das sie nicht länger zurückhalten konnte. Was hatte dieses Monster Kim angetan?
Rene trat näher. „Sie ist nur noch eine Larve. Eine Hülle. Ihr Geist gehört mir. Alles von ihr gehört mir. Ich kann ihr befehlen, und sie wird gehorchen. Möchtest du eine Kostprobe?“
Amalia stand starr vor Entsetzen. Es war zu spät. Sie konnte ihrer Freundin nicht mehr helfen.
Renes Stimme durchschnitt den Raum. „Sklavin, sei so gut und würg unseren Gast, bis er bewusstlos wird.“
Amalia wollte zurückweichen, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht. Mit großen Augen sah sie zu, wie Kim sich umdrehte und einer Untoten gleich beide Arme ausstreckte. Zu spät versuchte Amalia, die Hände abzuwehren, die sich um ihren Hals legten. Kim drückte erbarmungslos zu.
„Nicht ...“, röchelte Amalia und bemühte sich, die Hände der Freundin von ihrem Hals zu schieben. Punkte tanzten vor ihren Augen. Sie trat gegen Kims Schienbein. Ihre Freundin schien es nicht einmal zu bemerken. Die Panik in ihr wuchs. Sie keuchte und versuchte zu atmen. Kim drückte immer fester zu, wie ein Python, der jedes Mal nachzog, wenn das Opfer ausatmete.
Es war vorbei. Sie würde durch die Hände ihrer besten Freundin sterben, und Rene sah dabei zu. Konnte sie ihr die Erinnerung an Laira auch entreißen, wenn sie bewusstlos war?
Sie schloss die Augen. Vor ihr erschien der goldene Adler, der sich zurück in einen Schmetterling verwandelte. Eine Stimme erklang, die wie eine bronzene Glocke tönte.
„Du musst kämpfen. Wehre dich.“
Amalia hatte in ihrem ganzen Leben nicht zu kämpfen gelernt. Sie mochte Kunst, Musik und Spaziergänge. Wie man einen Angreifer außer Gefecht setzt, hatte ihr niemand beigebracht. Trotzdem begriff sie in diesem Augenblick, was der Schmetterling meinte: Sie war nicht nur eine Frau. Sie war tausend Frauen. Sie hatte ein Leben nach dem anderen gelebt und die Erinnerungen weitervererbt an sich selbst. Es musste in ihrem Erbe zumindest eine Frau geben, die kämpfen konnte. Eine Frau, die in der Lage war, sie zu retten.
Jara! Der Name war plötzlich da, und er erschien ihr vertraut.
„Jara“, krächzte sie mit letzter Kraft und griff an. Ihr Tritt kam so heftig, dass Kims Kniescheibe hässlich knirschte. Der Griff um ihren Hals lockerte sich. Sie schlug zu, verpasste Kim einen Hieb mit dem Rücken ihrer Faust und setzte nach, als habe sie nie etwas anderes getan.
Ihre Freundin wehrte sich, aber plötzlich wusste Amalia genau, was sie zu tun hatte, um die Attacken abzuwehren. Sie tauchte weg und stieß Kim von sich, sodass sie seitlich zu Boden fiel.
„Genug!“ Rene packte Amalia an der Schulter und riss sie fort. Sie knallte gegen die Scheibe des Salzwasserbeckens und sah verschwommen, wie Kaiser- und Doktorfische auseinanderschossen. Ihre Nase schmerzte und begann zu bluten.
Rene deutete auf Kim. „Du darfst gehen. Ich sage dir, wenn ich etwas von dir brauche.“
Ihre Freundin kam auf die Beine, wandte sich widerspruchslos ab und humpelte aus dem Raum.
„Du Ungeheuer!“ Amalia stieß sich von der Wand ab und griff Rene an. Sie wusste, wohin sie treten und wie sie zuschlagen musste, aber sie war ein Mensch. Ihr Angriff
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