Schwartz, S: Blutseelen 2: Aurelius
Schlüsselbein, das Sybell zerschmettert hatte, als sie sie im Kino auf den Boden geworfen hatte, tobte der Schmerz. Tränen schossen in ihre Augen.
„Lass das!“, fuhr Gracia Perry an.
Mais Sicht verschwamm. Sie versuchte erst gar nicht, an der holzgetäfelten Wand aufzustehen. Sie lag im Prunkraum des Tribunals. Um den Tisch versammelt saßen Gracia, Madlene und Tartus. Perry stand wie ein Rachegott im Raum. Seine Stimme war reine Wut.
„Warum hast du Amalia das Handy gegeben ohne es mir zu sagen?“
Mai schluckte. Sie bekam vor Angst Schluckauf und zitterte, als Perry auf sie zukam. Er würde sie umbringen. Kurz vor ihr blieb er stehen.
„Rede!“
„Ich ... ich hatte Mitleid mit ihr ...“, presste sie hervor. „Sie ... ist meine Freundin ...“
Perry wollte sich nach ihr bücken, aber Gracia, die eben noch am Tisch gesessen hatte, stand plötzlich neben ihm und riss ihn in die Höhe. Seine Beine baumelten in der Luft. Die Vampirfürstin sah aus, als wäre sie ein Engel des Jüngsten Gerichts.
„Hör endlich auf, dich wie ein Wahnsinniger zu benehmen, und hör mir zu!“
Sie warf Perry in die entgegengesetzte Richtung von Mai und ging ihm hinterher. Perry schlug hart gegen die mit Samt bespannte Wand, stand aber sofort wieder auf und sah Gracia zornerfüllt an. Seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf die Vampirfürstin.
Mai entschied, sich ganz leise zu verhalten. Sie atmete so flach sie konnte und beobachtete die Szene angespannt. Um diesen Tag zu überleben, brauchte es mehr als Glück. Es brauchte ein Wunder.
Gracias Stimme durchschnitt den Raum. „Mai hat das Handy von Sybell erhalten, und Sybell ist noch immer auf der Flucht. Sie ist mit Rene verbündet. Ich habe keine Ahnung, was Rene ihr geboten hat. Vielleicht Geld, vielleicht auch Macht. Zwanzig unserer besten Krieger sind unter der Führung von Darion hinter Sybell her.“
Perrys Augen wurden heller, das rötliche Funkeln verschwand. Er strich sich den schwarzen Gehrock glatt. Seine Stimme vibrierte. „Also gut. Sybell ist eine Verräterin. Trotzdem hätte Mai ihr nicht gehorchen müssen.“
Gracias Antwort war scharf wie die Klinge eines Katanas. „Du vergisst die suggestiven Kräfte, die Vampire auf Menschen ausüben können, besonders Vampire, die so alt sind wie wir. Deine Anwärterin trifft keine Schuld, sondern dich. Du hättest besser auf sie achten müssen, damit sie Sybell nicht allein ausgeliefert war. Aber das hast du nicht getan. Du hast dich in letzter Zeit zu häufig in irgendwelche Studien verkrochen und Mai im Anwesen allein gelassen. Eben das war ein Fehler. Ein schwerer Fehler.“
Perry verstummte. Er setzte sich wieder an den Tisch. In seine Augen trat Reue. „Es ist wahr. Ich habe keinerlei Kenntnis von einem Zusammentreffen zwischen Mai und Sybell.“
Mai schloss die Lider und atmete erleichtert aus. Sie kannte Perrys rasende Zornanfälle und wusste auch, dass sich seine Laune genauso schnell wieder besänftigen ließ. Gracias Worte hatten seine Wut erstickt.
„Richtig. Aber darum geht es in diesem Augenblick nicht. Ich habe euch hier versammelt“, sagte Gracia, ohne Mai eines Blickes zu würdigen, „weil Darion erfolgreich war. Er ist bereits im Anwesen, und er bringt uns Sybell. Die Verräterin.“ Sie wandte sich zur Tür.
Wie auf Anweisung flog die Tür auf, und Darion trat ein, begleitet von zwei dunkelhaarigen Vampirkriegern, die die mit speziellen Stahlketten gefesselte Sybell hereinbrachten.
Sybells helle Augen sahen sich flehend im Raum um, blickten auf Mai und dann auf Gracia.
Gracias Lippen waren ein schmaler Strich. Ihr Gesicht wirkte verbittert. Sie taxierte Sybell feindselig. „Ich habe dich aus der Gosse geholt, Sybell, und dir alles gegeben. Warum verrätst du mich?“
„Gracia, ich ...“, setzte die silberblonde Vampirin an, doch Gracia ließ sie nicht zu Wort kommen.
„Du hast dafür gesorgt, dass das Seelenblut nach Berlin gelangt und Aurelius uns verrät.“
Sybell sah verwirrt aus. Sie schien benommen zu sein.
Gracia ging auf ihren Platz am Teakholztisch zu und griff nach einem länglichen, schwarzen Gegenstand.
Mai erkannte, dass es ein schwarzer Spitzenfächer war.
Die Vampirfürstin zog den Fächer auseinander und sah allen Mitgliedern des Tribunals nacheinander in die Augen. „Ihr sollt wissen, was auf Verrat steht.“
Sie riss den Fächer samt seiner silbernen Spitzen in einer unmenschlich schnellen Bewegung über Sybells Hals. Die Augen der silberblonden
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