Schwarz auf Rot
Liebesbeziehung zwischen den beiden.«
»Fang an, wo du willst«, sagte Yu und nahm ihre Hand.
»Yang wurde als Sohn einer reichen Shanghaier Fam i lie geboren. In den vierziger Jahren ging er zum Studium in die Vereinigten Staaten, dort promovierte er in Liter a turgeschichte und veröffentlichte erste Gedichte auf en g lisch. 1949 ging er voll leidenschaftlicher Träume für ein neues China in seine Heimat zurück. Er unterrichtete an der Ostchinesischen Universität, übersetzte englische Romane und schrieb chinesische Gedichte, bis die Anti-Rechts-Bewegung Mitte der Fünfziger dem ein Ende setzte. Plötzlich wurde er als reaktionärer Rechtsa b weichler eingestuft, und seine Verwandten und Freunde mieden ihn. Er schrieb keine Gedichte mehr, übersetzte aber weiterhin Bücher, die von der Regierung gebilligt wurden, wie etwa die Werke von Charles Dickens und Thackeray, über die Karl Marx sich positiv geäußert ha t te, oder Romane von Mark Twain und Jack London, die gewisse antikapitalistische Tendenzen aufwiesen. Schließlich wurde er an die Abteilung für chinesische Literatur versetzt, um ihn an der Verbreitung › dekadenten westlichen Gedankenguts‹ auf englisch zu hindern, d enn die meisten Parteifunktionäre waren dieser Fremdsprache nicht mächtig.
Bei Ausbruch der Kulturrevolution wurde Yang über Nacht zur Zielscheibe revolutionärer Massenkritik. Man zwang ihn zur Selbstdenunziation. Seine Studienjahre in den Staaten wurden als Spionagetraining hingestellt, und seine Übersetzungen englischer und amerikanischer Lit e ratur galten als Angriff auf die proletarische Massenku l tur des sozialistischen China. Anfang der siebziger Jahre, als im Zuge der permanenten Revolution immer und ü berall neue Klassenfeinde ausgemacht wurden, klassif i zierte man ihn als ›toten Tiger‹; die revolutionären Ma s sen hatten ihren Spaß daran verloren, ihn öffentlich zu demütigen und zu schlagen. Zusammen mit anderen s o genannten bürgerlichen Intellektuellen wurde er aufs Land in eine Kaderschule geschickt. Dort traf er Yin.
Beide waren sie Kaderstudenten, unterschieden sich jedoch in ihrem politischen Status. Yang, als Rechtsa b weichler mit fragwürdiger Vergangenheit, stand ganz unten in der Hierarchie. Yin hatte sich als Rotgardistin während der Großen Revolution lediglich ›kleinere Ve r gehen‹ zuschulden kommen lassen und wurde zur Gru p penleiterin ernannt. Sie überwachte eine Gruppe von Mitstudenten, zu der auch Yang gehörte.
Zu jener Zeit glaubten selbst einige der Kaderstude n ten noch immer alles, was der Große Vorsitzende sagte. Ein bekannter Dichter schrieb begeistert über die Heilung seiner chronischen Schlaflosigkeit durch körperliche A r beit auf den Feldern, nachdem er Maos Aufruf zur Ume r ziehung gefolgt war. Andere jedoch machten sich keine Illusionen mehr über die jeweils ›neuesten und höchsten Direktiven‹, die in endlosen Parteidokumenten verbreitet wurden. Nach einem harten Arbeitstag konnten nur die wenigsten noch einen klaren Gedanken fassen. Theor e tisch war es den Kaderstudenten nach erfolgreicher U m erziehung durch körperliche Arbeit und politisches St u dium möglich, einen ›Abschluß‹ zu erwerben und eine neue Arbeit zugewiesen zu bekommen. Doch nach ein p aar Jahren wurde ihnen klar, daß man sie vergessen ha t te. Der Weg zurück in die Städte schien verwehrt, auch wenn sie nicht länger im Zentrum der Revolution sta n den.
Auch Yin machte sich ihre Gedanken. Sie war sich nicht mehr so sicher, ob sie während der Kulturrevolut i on richtig gehandelt hatte, und fühlte sich von Mao au s genutzt. Sie mußte sich eingestehen, daß ihre Zukunft s aussichten als ehemalige Rotgardistin eher düster waren. Falls sie je an ihre Universität würde zurückkehren kö n nen, dann bestimmt nicht als politische Instrukteurin. Sie war nicht länger in der Position, anderen politische Le k tionen erteilen zu können.
Dann fiel ihr Augenmerk auf Yang. Er arbeitete als Küchenhilfe, eine vergleichsweise leichte Arbeit; er sammelte Feuerholz, bereitete Reis und Gemüse zu und machte den Abwasch. Ein ansässiger Bauer war als Koch angestellt. Zwischen den Mahlzeiten blieb Yang Zeit, in der Küche englische Bücher zu lesen und sogar ein w e nig zu schreiben.
Eigentlich wurde den Kaderstudenten keine andere Lektüre zugestanden als die Werke des Vorsitzenden Mao oder politische Verlautbarungen. Doch im Jahr z u vor war etwas Außergewöhnliches vorgefallen: Mao ha t te
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