Schwarz auf Rot
reiche Geschäftsfrau war. Der Inhalt ihres Schlie ß fachs bestätigt das nur.«
»Nun ja, sie hat diese Reise nach Hongkong gemacht. Man könnte sie aufgrund dessen für reich gehalten h a ben.«
»Was die Hongkong-Reise anbelangt«, sagte Yu, »so habe ich bei der Staatssicherheit nachgefragt in der Hof f nung, sie wüßten vielleicht etwas. Aber stellen Sie sich vor, Chef, die haben mir praktisch die Tür vor der Nase zugeschlagen.«
»Typisch Staatssicherheit. Was soll ich dazu sagen?« kommentierte Chen, während er eine Krabbe pulte. »Kaum jemand bringt sie dazu, ihre Informationen prei s zugeben.«
»So wie ich das verstehe, sind sie die Polizisten der Polizisten. Aber in einem solchen Fall sollten sie doch helfen – schon im Interesse der Partei. Eine derartige Haltung ist doch unsinnig«, sagte Yu und griff mit den Stäbchen nach einer grünen Sojabohne. »Es sei denn, sie wollen etwas vor uns verbergen.«
»Das hoffe ich nicht. Aber ihr Vorgehen durchschauen meist nur sie selber. Man weiß nie, welche eigenen Inte r essen sie verfolgen«, sagte Chen. »Habe ich Ihnen je von meiner ersten Begegnung mit der Staatssicherheit e r zählt?«
»Nein.«
»Das war noch während meiner Studienzeit in Peking. Ich hatte ein paar Gedichte veröffentlicht und dadurch waren Briefkontakte entstanden. Eines Tages lud mich einer dieser Bekannten zu sich nach Hause ein. Ein and e rer Gast hatte einen amerikanischen Dichter mitgebracht. Wir redeten die ganze Zeit bloß über Poesie. Am näc h sten Tag zitierte mich der Parteisekretär der Englischa b teilung in sein Büro.«
»Und was wollte er?«
›»Sie sind jung und unerfahren, und wir vertrauen I h nen‹, hat er zu mir gesagt, ›aber in Zukunft müssen Sie vorsichtiger sein. Seien Sie nicht so naiv zu glauben, daß die Amerikaner unsere Literatur um ihrer selbst willen schätzen‹«, erzählte Chen. »Ich war völlig durcheina n der. Dann erst wurde mir klar, daß er auf die literarische Debatte vom Vortag anspielte. Ich fragte mich, wie er so schnell davon erfahren hatte. Jahre später fand ich he r aus, daß die Staatssicherheit dahintersteckte. Zu meinem Glück hatte der Dekan dem Ruf seiner Universität nicht dadurch schaden wollen, daß einer seiner Studenten auf die Schwarze Liste kam. Daher hat er sich mit der Staat s sicherheit auf einen Kompromiß geeinigt.«
»Das ist ja wohl die Höhe! Die haben ihre Fühler ü berall.«
»Also denken Sie sich nichts, wenn man dort die Z u sammenarbeit verweigert. Wir können auch auf anderem Weg an Informationen kommen. Ich werde ein paar A n rufe tätigen.«
»Das wäre großartig, Chef.«
Die Nudeln kamen in chiliroter Brühe, garniert mit frisch gehacktem Zwiebelgrün. Die Kutteln, genau auf den Punkt gegart, hatten Biß und kontrastierten in ihrer Konsistenz raffiniert mit den noch knusprigen Nudeln. Das war eine angenehme Überraschung in einem so kle i nen Familienrestaurant. Strahlend kam die Besitzerin an ihren Tisch, um sich ein Lob abzuholen.
»Das Essen ist köstlich«, sagte Chen, »und der Service ausgezeichnet.«
»Dann hoffen wir, daß Sie uns bald wieder beehren, mein Herr«, sagte die Wirtin mit zufriedenem Lächeln.
»Das Lokal gehört ihr«, erklärte Yu, »ein Privatb e trieb. Natürlich will sie ihren Gästen schmeicheln, die ja schließlich die neuen Herren sind.«
»Stimmt.«
»Wissen Sie übrigens«, sagte Yu, während ihm die Nudeln wie ein Wasserfall von den Stäbchen hingen, »ob das Alte Halbplatz ein gutes Lokal ist?«
»Hervorragend, besonders bekannt ist es für seine N u deln am frühen Morgen. Warum?«
»Herr Ren, ein Hausbewohner von meiner Verdächt i genliste, erzählte mir, daß er zwei-, dreimal die Woche dort hingeht, und er bezeichnet sich selbst als einen spa r samen Gourmet.«
»Sparsamer Gourmet, das gefällt mir«, sagte Chen. »Ja, der Alte Halbplatz hat eine Menge Stammkunden, die dort regelmäßig frühstücken. Es ist fast schon ein Ritual.«
»Wieso gerade dort?«
»Da fragen Sie den richtigen. Kürzlich erst habe ich etwas über dieses Restaurant gelesen. Der Koch dort gibt die Nudeln in sprudelnd kochendes Wasser, und zwar in einen besonders großen Kessel. Dadurch bekommen sie ihre nahezu knusprige Konsistenz. Sobald das Wasser sich aber mit Stärke anreichert, werden sie weich und schlabberig. Da es nicht leicht ist, in einem so großen Kessel das Wasser zu wechseln, wird kaltes Wasser z u geschüttet, aber das ist natürlich nicht so gut.
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