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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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verrückt nacheinander, g l ü hend wie ein Brennofen.
    A us demselben Stück Ton b ist du geformt, w urde ich geformt. Schlag u ns zusammen wieder in den Ton, m isch uns mit Wasser und forme e in neues Du, e in neues Ich.
    D ann trag auf ewig ich d ich in mir und du mich in dir.‹«
    Nachdem Peiqin diese lange Passage mit gefühlvoller Stimme gelesen hatte, sagte sie: »In der Kaderschule stieß solche Leidenschaft natürlich kaum auf Verstän d nis. Schlimmer noch, einer der Schulleiter sah darin eine dreiste Herausforderung der Parteiführung.
    Eine Massenkritiksitzung wurde abgehalten. Yang wurde auf ein Podium geführt und als abschreckendes Beispiel für einen reaktionären Intellektuellen hingestellt, der sich der ideologischen Umerziehung entzog, indem er sich verliebte. Yin kam nicht viel besser weg: Sie erhielt eine Verwarnung durch die Partei und mußte barfuß n e ben Yang auf dem Podium stehen. Statt einer Tafel hän g te man ihr ein Bündel ausgelatschter Schuhe um den Hals, das traditionelle Symbol für eine Frau, die nach dem Verkehr mit vielen Männern verbraucht ist wie ein schmutziger alter Schuh.
    Es gibt ein berühmtes Zitat des Vorsitzenden Mao: Auf dieser Welt existieren weder grundlose Liebe noch grundloser Haß. Demnach müsse es einen Grund geben, warum diese beiden › schwarzen Elemente‹ einander in die Arme gefallen seien, sagten ihre r evolutionären Krit i ker. Und sie folgerten, gemeinsamer Haß auf die Kultu r rev o lution habe sie zusammengeführt.
    Yin und Yang ließen sich nicht einschüchtern. Sie tr a fen sich auch weiterhin, wann immer es möglich war, und ignorierten die Warnungen der Schulleitung.
    Man brachte Yang in einen ›Isolationsraum‹, und er durfte keinerlei Kontakt haben, vor allem nicht zu Yin. Er sollte den ganzen Tag schriftliche Geständnisse und Selbstkritiken schreiben, weigerte sich aber mit dem A r gument, daß nichts Unrechtes daran sei, wenn zwei Me n schen sich liebten. Eine Woche lang ging das so, dann wurde er tagsüber zu besonders langen Arbeitsschichten in die Reisfelder gebracht und abends zum Schreiben wieder in den Isolationsraum gesperrt.
    Auch Yin hat schwer gelitten. Die eine Hälfte ihres Kopfes wurde kahl geschoren. Man nannte das die Yin-Yang-Frisur, ein Kennzeichen für Klassenfeinde – ein gemeines Wortspiel mit den Familiennamen der beiden. Doch sie schien fast stolz zu sein auf den Preis, den sie für ihre Liebe zu bezahlen hatte, und gab sich keine M ü he, diese Haartracht zu verhüllen.
    Das schlimmste aber war, daß sie Yang nicht mehr treffen durfte. Nach der täglichen Arbeit strich sie allein um die Hütte herum, in der er festgehalten wurde, um wenigstens einen Blick auf seinen Schattenriß hinter dem Fenster zu erhaschen. Sie wiederholte sich die Zeilen, die er ihr beigebracht hatte: ›Welch sternenreiche Nacht, / längst dahin und vorbei. / Für wen, frag ich, stehe ich hier, / trotzend Wind und Frost / tief in der Nacht?‹
    Bald darauf wurde Yang wieder krank. Da sich die Schulleitung nicht um ihn kümmerte, bekam er keine ordentliche medizinische Versorgung. Die Barfußärztin war überzeugt, daß eine silberne Akupunkturnadel alle Krankheiten heilen könne. Schließlich hatte der Vorsi t zende Mao verkündet, daß die traditionelle chinesische Medizin Wunder wirke. Yin durfte ihn nicht besuchen, erst unmittelbar vor seinem Tod, als klar war, daß man ihm nicht mehr helfen konnte, ließ man sie zu ihm. Es war ein kalter Tag, und noch kälter waren seine Hände. Er k onnte zwar nicht mehr sprechen, blieb aber, ihre Hand haltend, bis zum Ende bei Bewußtsein. Er starb in ihren Armen. Wie in dem Gedicht, das er einst übersetzt hatte: ›Wenn ich nur deinen Körper, kalt wie Eis, wie Schnee, / zurück ins Leben bringen könnte / durch die Wärme des meinen …‹
    Zwei Jahre später war die Kulturrevolution offiziell zu Ende. Die Kaderschule wurde aufgelöst. Yin ging in ihre Universität zurück, und da sie bei ihm Englisch gelernt hatte, wurde sie für den Englischunterricht eingesetzt.
    Yang, so die offizielle Verlautbarung, war eines natü r lichen Todes gestorben und nicht wie andere Intellektue l le hingerichtet oder zu Tode geprügelt worden. Es gab also keinen Grund, die Umstände seiner letzten Tage g e nauer zu untersuchen. In dieser Zeit waren so viele g e storben. Niemand fragte nach. In den ersten Jahren nach der Kulturrevolution wurde nichts unternommen.
    Erst Anfang der achtziger Jahre gab die

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