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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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Schule eilen. Doch der Oberinspektor von heute riß sich zusammen und wandte sich wieder seinem mit P a pieren und Lexika übersäten Schreibtisch zu.
    Inzwischen hatte er eine weitere Aufgabe für Weiße Wolke in der Shanghaier Stadtbibliothek. Einige der von Yang übersetzten Gedichte waren möglicherweise z u nächst in englischsprachigen Fachzeitschriften erschi e nen, und wenn, dann vermutlich vor der Anti-Rechts-Bewegung Mitte der Fünfziger. Vielleicht konnten dort abgedruckte Anmerkungen ein Licht auf die sonderbaren Abkürzungen in dem Manuskript werfen.
    Womöglich war das Ganze ja auch völlig unwichtig und irrelevant, doch Chens Neugierde war geweckt. A u ßerdem mußte die Bibliothek Kataloge von chinesischen und fremdsprachigen Verlagen haben. Er könnte einige von ihnen anrufen und fragen, ob sie an einer Publikation der Gedichtsammlung interessiert waren. Damit hatte es keine Eile, aber der Gedanke, etwas für den Toten tun zu können, befriedigte ihn.
    Außerdem würde er Weiße Wolke auf diese Weise b e schäftigen und sie von seiner Wohnung fernhalten. Jetzt erst fühlte er sich innerlich bereit für seine Übersetzung s arbeit, und tatsächlich kam er gut voran, bevor Weiße Wolke für ihr Tagwerk erschien. Der Laptop war wir k lich eine große Hilfe.
    Er hatte bereits mehrere Seiten übersetzt, als Weiße Wolke das sonnendurchflutete Zimmer betrat, eine Tüte mit gebratenen Fleischtäschchen in der Hand. Er erklärte ihr die neue Aufgabe: von Yang übersetzte Gedichte in Fachzeitschriften suchen und Verlage ausfindig machen, die eventuell an der Veröffentlichung einer solchen G e dichtsammlung interessiert wären. Er hatte ein vages G e fühl, daß dabei vielleicht noch etwas anderes zutage kommen würde, konnte aber nicht sagen, was. Doch es war einen Versuch wert. Er selbst hätte aufgrund einer solch vagen Vermutung nicht in die Bibliothek gehen können, aber für Weiße Wolke war es möglich.
    »Eigentlich müßte ich Hauptwachtmeister Yu bei se i nen Ermittlungen helfen«, erklärte ihr Chen, »aber das würde mir die Zeit für Herrn Gus Übersetzung rauben. Ich wäre Ihnen daher sehr dankbar, wenn Sie mir das abnehmen könnten.«
    »Eine kleine Sekretärin hat zu tun, was ihr Chef von ihr verlangt«, sagte sie mit hintergründigem Lächeln. »Egal was. Sie brauchen sich also nicht zu rechtfertigen. Herr Gu hat das mehrfach betont. Aber was wird aus I h rem Mittagessen?«
    »Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Ihr Au f trag wird vermutlich mehrere Stunden in Anspruch ne h men. Lassen Sie sich Zeit in der Bibliothek.«
    Erstaunlicherweise klingelte das Telefon den ganzen Vormittag kein einziges Mal, und die Arbeit ging ihm flott von der Hand. Vor seinem Fenster tschilpten die Spatzen trotz des kalten Windes, der durch die kahlen Zweige fuhr. Er versank so sehr in der Glitzerwelt der dreißiger Jahre, daß er darüber sein Mittagessen vergaß; »trunken vor Geld und geblendet vom Gold«, wie es die Besucher der New World eines Tages sein würden.
    Als das Telefon schließlich doch klingelte, riß es ihn aus einer Szene, in der eine französische Tänzerin mit nackten Füßen wie eine Schneeflocke über die rotausg e legte Bühne in einem postmodernen shikumen -Haus wi r belte. Es gelang ihm nicht sofort, in die Realität zurüc k zukehren. Der Anrufer war Yu. Er hatte kaum Neues über seine Ermittlungen zu berichten, und Chen verwu n derte das nicht. Er hatte eine hohe Meinung von Yu, aber solche Ermittlungen brauchten nun mal ihre Zeit.
    »Ich weiß wirklich nicht, ob uns diese Befragungen weiterbringen«, sagte Yu.
    »Immerhin können wird dabei etwas über Yin erfa h ren.«
    »Das ist es ja gerade. Ihre Nachbarn scheinen kaum etwas über sie zu wissen. Sie war Schriftstellerin, sie hat ein Buch über die Kulturrevolution geschrieben. Aber das war ’ s dann auch schon. In ihrem Haus war sie eine Außenseiterin.«
    »Und wie steht ’ s mit ihren Kollegen?«
    »Ich habe mit dem Abteilungsleiter gesprochen, aber auch dort war nichts wirklich Informatives zu erfahren. Die Akte, die von der Universitätsleitung über sie geführt wurde, enthielt bloß die üblichen offiziellen Phrasen.«
    »Über eine Dissidentin redet man nicht gern«, sagte Chen. »Jeder verhält sich nach dem Motto: Je weniger ich sage, desto besser. Das ist verständlich.«
    »Aber um die Theorie vom Nachbarschaftsmord zu untermauern und die Leute auszuschließen, die sie an der Uni kannten, hätte ich gerne mit ein

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