Schwarz auf Rot
haben Sie sich nach dem Mord an Yin verha l ten?«
»Ich bin in mein Zimmer zurückgegangen. Auf der Treppe ist mir niemand begegnet, aber es war verdammt knapp. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, als ich jemand heraufkommen hörte, gleich darauf wurde um Hilfe gerufen. Ich habe mein Zimmer für längere Zeit nicht verlassen, genau gesagt bis um neun Uhr. Da ko m me ich normalerweise vom Bund zurück.«
Angesichts all ihrer Theorien und der vielen Arbeit wirkte dieses plötzliche Geständnis auf Yu ziemlich e r nüchternd.
Aber an der Logik von Wans Aussage war nichts au s zusetzen, die Einzelheiten paßten.
»Eine Frage noch: Sie sagten, Sie hätten die Schubl a den herausgezogen und ihre Sachen in Unordnung g e bracht, ist das richtig?«
»Ja, so war es.«
»Erinnern Sie sich noch, was in den Schubladen lag?«
»Nein, das weiß ich nicht mehr. Es ging alles so schnell, wie in einem Film. Mir blieb keine Zeit zum Ü berlegen.«
»Aber an irgend etwas müssen Sie sich doch eri n nern«, insistierte Yu geduldig, »wenn auch nicht an a l les.«
»Nun, da war ein bißchen Bargeld, ein paar Fünf-und Zehn-Yuan-Scheine.«
»Haben Sie das Geld an sich genommen?«
»Nein, natürlich nicht. Was glauben Sie denn, wer ich bin?«
»Das werden wir schon herausfinden. Es war b e stimmt nicht unser letztes Gespräch.«
Yu gab ein Zeichen, daß Wan weggebracht werden sollte.
»Wan mag ja ein Motiv gehabt haben«, sagte Yu zum Alten Liang, als sie allein waren, »aber was hat ihn zu diesem plötzlichen Geständnis veranlaßt? Es liegt ja noch nicht einmal eine Anklage gegen Cai vor; er ist lediglich in Haft. Was für eine Beziehung haben Wan und Cai?«
»Kommen Sie, Hauptwachtmeister, die beiden sind weder verwandt noch befreundet. Wan mag alles mögl i che getan haben, aber nicht für Cai. Erst vor kurzem h a ben sie sich gestritten.«
»So? Um was ging es denn?«
»Lindi und Xiuzhen verdienen beide kaum Geld, und das bei einer sechsköpfigen Familie, die Freundin des Sohnes mitgerechnet. Cai hat nicht viel zum Einkommen beigetragen, dabei hat Xiuzhen ihn ja unter anderem deswegen geheiratet. Wan hat Cai darauf angesprochen, daß er besser für seine Familie sorgen solle, und Cai hat erwidert, daß ihn das nichts anginge.«
»Na ja, sowas kommt unter Nachbarn öfter vor.«
»Aber da ist noch etwas anderes, Hauptwachtmeister.«
»Was denn?«
»Sie und ich, wir haben ihn zu seinem Alibi befragt und ihn gebeten, jemanden zu nennen, der seine Aussage bestätigen kann. Aber das hat er nie getan.«
»Stimmt.«
»Wan muß der Mörder sein. Das ist doch ganz offe n sichtlich. Es gibt keinen Grund, weiter zu ermitteln.«
»Aber einiges muß noch geklärt werden, bevor wir den Fall abschließen können.«
»Und das wäre?«
»Wan hat nach eigenen Angaben vieles in Yins Zi m mer angefaßt. Also müßte er dort jede Menge Fingera b drücke hinterlassen haben. Der erste Bericht der Spure n sicherung war wenig aufschlußreich, weil so viele u n deutliche und unbekannte Abdrücke gefunden worden sind, aber ich kann mich nicht erinnern, Wans Namen auf der Liste gesehen zu haben. Wir sollten die Abdrücke daraufhin noch einmal überprüfen.«
»Das können wir ja.«
»Außerdem hat Wan Geldscheine erwähnt, Fünfer und Zehner. Angeblich waren sie in einer der Schubladen, aber wir haben nur Münzen dort gefunden. Das ist doch verdächtig.«
»Na ja, vielleicht erinnert sich Wan nicht mehr so g e nau.«
»Augenblicklich haben wir nur Wans Aussage. Wenn das wahr ist – ich meine, daß er an jenem Morgen um kurz nach sechs schon unterwegs war –, dann hat ihn vielleicht einer seiner Nachbarn gesehen, dem aber keine Bedeutung beigemessen.«
»Auch das können wir ja noch einmal überprüfen, aber meines Erachtens brauchen Sie sich darüber nicht den Kopf zu zerbrechen. Neben seiner Aussage haben wir schließlich handfeste Beweise.« Die Stimme des Alten Liang bekam plötzlich einen triumphierenden Ton. »Ich habe in Wans Dachkammer eine Fahrkarte für nächste Woche nach Shenzhen gefunden.«
»Sie haben sein Zimmer bereits durchsucht?«
»Ja, gleich nachdem er sein Geständnis abgelegt hatte. Hier ist die Fahrkarte. Ich habe sie in einem Notizbuch in seiner Schublade gefunden. Daß ich die Mordwaffe fi n den würde, hatte ich kaum erwartet, aber so ein Ticket spricht doch Bände.«
»Hmm …« Yu lag es auf der Zunge, den Alten Liang zu fragen, ob er einen Durchsuchungsbefehl vom Pol i zeipräsidium
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