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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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aufrechtzuerhalten wie für Lyriker. Er selbst hatte sich nie erklären können, warum er ein erbärmlich schlechtes Gedicht produzierte, nachdem ihm zuvor ein relativ gutes gelungen war.
    All diese Thesen, einschließlich seiner Vermutungen, daß sich der Mörder aus Furcht vor dem Erkanntwerden verborgen gehalten hatte, waren nichts als Hypothesen. Sie hatten kaum Gewicht und waren nutzlos geworden, als Wan den Mord eingestanden hatte. Sein Motiv moc h te für andere unverständlich sein, aber es genügte, daß es ihm selbst sinnvoll erschien.
    Wie immer lief alles darauf hinaus, daß es Dinge gab, die ein Mann tun konnte, und Dinge, die ein Mann nicht tun konnte. Das galt auch für den Beruf des Polizisten und für den vorliegenden Fall.
    Er fand, an diesem Abend eine Pause verdient zu h a ben, und wollte sie in Gesellschaft von Weißer Wolke verbringen. Das würde ihm auch Gelegenheit bieten, mehr über Gu und sein New-World-Projekt zu erfahren.
    Er schlug ihr ein Abendessen in einem Karaoke-Club vor, allerdings nicht im Dynasty, das war er sich schu l dig. Er hatte ihr erzählt, wie gern er sie singen hörte, und hoffte, Weiße Wolke würde eine solche Einladung nicht ablehnen.
    Das tat sie nicht, schlug aber vor, in eine der vorne h men neuen Bars zu gehen, ins Golden Times Rolling Backward.
    »Das ist an der Hengshan Lu. Ein echtes In-Lokal.«
    »Gute Idee«, entgegnete er.
    Vielleicht wollte sie nicht an ihren Job als K-Mädel e r innert werden. Der Name dieser Bar gefiel ihm; er sugg e rierte eine nostalgische Atmosphäre, wie sie auch in der New World vorherrschen sollte.
    Sie nahmen ein Taxi zum Golden Times Rolling Backward, das sich als elegante Bar herausstellte, die man in einer eindrucksvollen viktorianischen Villa eing e richtet hatte. Er vermutete, daß es in den Dreißigern ein privates Anwesen gewesen war. Manch eine Berühmtheit hatte damals in den europäischen Villen dieses Viertels residiert.
    Sie suchten sich einen Tisch nahe den großen Vera n datüren zu dem gepflegten Garten, der in der hereinbr e chenden Dämmerung gerade noch sichtbar war. Die Bar, so erläuterte ihm Weiße Wolke, war für ihre klassische Eleganz bekannt. Den Namen der ursprünglichen Besi t zerin des Hauses hatte sie vergessen. »Sie war eine b e rühmte Kurtisane, die die Geliebte eines Triadenbosses wurde. Er hat dieses Anwesen für sie gekauft.«
    Innen war es ziemlich schummrig; Kerzenlicht erhellte nur schwach den dunkel gehaltenen Hintergrund. Nach einigen Minuten gelang es ihm, ein schwarzes, altmod i sches Telefon auszumachen, ein Grammophon mit gr o ßem Schalltrichter auf einem Beistelltischchen, eine alte Schreibmaschine und einen antiken Flügel mit Elfenbei n tasten. Alles war stilecht und paßte zu der dunklen E i chenvertäfelung, von den alten Gemälden und Plakaten bis hin zu den Nelken, die in einer Kristallvase auf dem Kaminsims standen.
    »Vielleicht sollten wir bei schönem Wetter mal am Nachmittag herkommen, wenn das Licht besser ist«, kommentierte er. »Man könnte dann die Details der Ei n richtung besser sehen. Die Inszenierung würde lebhafter und überzeugender wirken.«
    Dennoch war das Lokal geschickt ausgestattet. Man hatte das Gefühl, das städtische Leben der dreißiger Jahre sei ungebrochen. Die Jahre unter Maos kommunistischer Herrschaft schienen weggewischt von der rosa Damas t serviette der jungen Bedienung im scharlachroten qipao. Ihr Kleid war so hoch geschlitzt, daß man ihre weißen Schenkel bei jeder Bewegung blitzen sah.
    Der einzige Unterschied zu einer Szene aus einem a l ten Film war, daß die Gäste am heutigen Abend Chinesen waren. Nur ein älteres ausländisches Ehepaar kam herein und ging zu einem Ecktisch. Die Frau trug eine chines i sche wattierte Jacke mit geschlungenen Stoffknöpfen. Sie waren das einzige westliche Paar im Raum. Niemand schien ihnen besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
    Nachdem er die zweisprachige Speisekarte bei Ke r zenschein studiert hatte, bestellte Chen einen Kaffee; Weiße Wolke entschied sich für schwarzen Tee, dazu eine Schale Popkorn. Fürs Abendessen war es noch zu früh. In der Nähe gab es mehrere hervorragende Resta u rants. Er ließ sich Zeit mit der Entscheidung, ob sie hier oder lieber anderswo essen würden. In westlichen R e staurants kannte er sich nicht aus, Weiße Wolke hing e gen schien über alle neuen Trends informiert zu sein. Er war nicht sicher, ob er hier die richtige Wahl treffen würde.
    Zu seiner Überraschung

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