Schwarz auf Rot
lage. Das einzig Ungewöhnliche an dem Vertrag mit Yin waren die zwanzig Prozent, die sie zusätzlich für die R e daktion verlangte. Wir haben dem zugestimmt, weil es immer noch weniger war, als wir Yang hätten bezahlen müssen. Allerdings hat uns das plötzliche Auftauchen dieses Großneffen etwas ratlos gemacht. Es gibt bei uns keinen Präzedenzfall für derartige Forderungen eines Angehörigen, noch dazu so lange nach der Erstpublikat i on. Yin verteidigte ihren Anspruch als legitim, und in gewisser Weise hatte sie recht. Sie wies die Forderungen dieses Bao zurück.
Ich habe mich damals mit meinem Chef abgespr o chen«, fuhr Jia fort. »Nicht daß es dabei um große Su m men gegangen wäre, aber wir wollten einen Skandal vermeiden. Deshalb haben wir Bao eine Summe bezahlt, die den restlichen dreißig Prozent entsprach.«
»Sie waren also am Ende bei hundert Prozent, beim normalen Autorenhonorar?«
»So ist es.«
»Hat Bao das Angebot angenommen?«
»Ja, aber widerwillig.«
»Hat er protestiert?«
»Er hatte keine Ahnung vom Verlagsgeschäft, aber er mißtraute ihr. Er war nach wie vor überzeugt, daß es u n fair war. Deshalb wollte er ja auch alles noch einmal von uns erklärt haben. Yin war tatsächlich mit allen Wassern gewaschen. Er hatte keine Chance gegen sie. Damals war es noch nicht üblich, daß die Leute wegen solcher Dinge vor Gericht gingen.«
»Hatten Sie den Eindruck, daß er sie haßte?«
»Dazu kann ich wenig sagen. Keiner der Beteiligten war besonders glücklich. Sie bat uns sogar, die Vereinb a rung schriftlich zu machen und ihn unterschreiben zu lassen. Bevor er das Geld erhielt, mußte er versichern, von weiteren Forderungen an sie abzusehen.«
»Dann hat sie also keinen Yuan an ihn abgegeben?«
»Nicht einen.«
»Ist er jemals wieder an Sie herangetreten?«
»Nein. Er lebte auch gar nicht in Shanghai. Außerdem hatte er begriffen, daß erst wieder Geld zu holen ist, wenn die zweite Auflage erscheint. Falls das jemals der Fall sein wird.«
»Wird es denn der Fall sein?«
»Nun ja, die erste Auflage war ziemlich hoch, und sie ist ausverkauft. Wir dachten über eine zweite nach, doch dann erschien ihr Roman, und die Regierung hat ihren Namen auf die Liste für interne Kontrolle gesetzt. Das hat uns bewogen, erst einmal von einer zweiten Auflage abzusehen.«
»Jetzt bin ich ganz verwirrt, Genosse Jia. Der Lyri k band ist doch nicht ihr Buch.«
»Aber sie steht auf dem Umschlag, als Herausgeberin. Und selbst wenn wir ihren Namen nicht nennen, werden die Leute bei der Lektüre der Gedichte an den Roman denken. Mein Chef meint, das sei den Ärger nicht wert.«
»Wissen Sie noch mehr über ihn – ich meine den ju n gen Bao?«
»Nein, überhaupt nichts«, sagte Jia und erhob sich. »Ich erinnere mich, daß er ein paar Tage bei ihr wohnte. Er hat keine Verwandten in der Stadt. Das hat sie mir erzählt. Doch nach unserer Unterredung ist er wohl u n verzüglich nach Jiangxi zurückgefahren.«
»Aha. Haben Sie herzlichen Dank, Genosse Jia. Ihre Informationen sind sehr hilfreich für unsere Ermittlu n gen.«
Es war, als wäre das fehlende Teil eines Puzzles im letzten Moment doch noch aufgetaucht, dachte Haup t wachtmeister Yu, als er das Verlagshaus verließ.
Draußen war es sonnig und kalt. Ein spärlich bekleid e ter Schwachsinniger durchwühlte nicht weit von ihm eine Mülltonne und sang dabei einen Nonsens-Vers:
Wenn Schwarz auf Rot folgt u nd Vergangenheit kehrt wieder ein,
Oh, Oh, Oh, d ann ziehst du dir am besten e inen Big Mac rein.
Aus dem Cafe hinter ihm schallte eine Zeile aus einer Revolutionsoper: »Steuermann Maos Lehren schmelzen das Eis inmitten des Winters.« Eine Kakophonie der G e gensätze.
Jetzt mußte Yu diesen Bao finden, der inzwischen ein junger Mann sein mußte. Von einem öffentlichen Fer n sprecher in der Shaoxing Lu aus berichtete er Oberi n spektor Chen von seinen neuen Erkenntnissen.
»Ich habe mich noch einmal mit dem zentralen Info r mationsbüro in Verbindung gesetzt«, sagte Chen. »Sie haben mir soeben ein paar Daten über Hong und ihren Sohn Bao gefaxt, dazu einige Photos. Ich faxe das an Sie durch; es könnte Ihnen weiterhelfen.«
Es würde nicht einfach werden, diese Personen in so kurzer Zeit ausfindig zu machen. Er begann mit Hongs früherer Schule. Nach Aussagen des Rektors hatte es im vergangenen Jahr ein Klassentreffen gegeben. Hong hatte nicht teilgenommen, aber eine ihrer früheren Klassenk a meradinnen hatte ihre Adresse. Nachdem
Weitere Kostenlose Bücher