Schwarz auf Rot
Roman nur wegen ihm so gut verkauft hat«, hielt sie ihm entgegen. »Und was ist mit der G e dichtsammlung, die sie herausgegeben hat?«
»Mit Lyrik ist kein Geld zu verdienen, sagt Oberi n spektor Chen immer.«
»Aber Yangs Anthologie ist vergriffen, und die Aufl a ge war bestimmt nicht klein; viele Leute lesen Gedichte. Auch ich habe ein Exemplar gekauft.«
Später, im Büro des Nachbarschaftskomitees, erwäh n te Yu Peiqins Bemerkung bei einem Telefongespräch mit Oberinspektor Chen.
»Die Situation hat sich grundlegend geändert«, erklä r te Chen. »Vor einigen Jahren noch hätte ein Verleger lediglich eine einmalige Summe von etwa fünfzehn Yuan für tausend Schriftzeichen oder zehn Gedichtzeilen b e zahlt. Sie hätte also nicht viel dabei verdient.«
»So in etwa habe ich mir das vorgestellt.«
»Wenn sie aber einen Vertrag mit verkaufsabhäng i gem Honorar abgeschlossen hat, dann könnte es anders für sie aussehen. Haben Sie mit dem Verleger darüber gesprochen?«
»Nein, warum?«
»Na ja, der müßte Ihnen sagen können, wieviel genau sie bekommen hat«, sagte Chen nachdenklich. »Ich weiß nicht. Vielleicht sollten Sie noch einmal dort anrufen.«
Eine größere Geldsumme konnte immer ein Mordm o tiv sein, aber Yu hatte den Eindruck, daß Chen als pa s sionierter Autor und Peiqin als passionierte Leserin die literarischen Aspekte des Falls übertrieben wichtig na h men. Dennoch wählte er die Nummer von Wei, dem Le k tor, der Tod eines chinesischen Professors beim Shan g haier Literaturverlag betreut hatte.
»Schon wieder wegen Yin?« Wei schien nicht gerade erfreut.
»Tut mir leid, daß wir Ihnen noch ein paar weitere Fragen stellen müssen«, sagte Yu.
Er konnte Weis Unmut ja verstehen. Durch Tod eines chinesischen Professors hatte er sich in Schwierigkeiten gebracht. Wenn etwas politisch Unkorrektes veröffen t licht wurde, wurde dafür nicht nur der Autor zur Reche n schaft gezogen, sondern auch der Lektor. War ein Autor sehr bekannt, so kam dieser manchmal mit einer Verwa r nung davon, und es war der Lektor, der statt dessen den »schwarzen Kessel« schultern mußte. Wei war dafür kr i tisiert worden, daß er die politischen Folgen einer Publ i kation von Tod eines chinesischen Professors nicht v o rausgesehen hatte.
»Ich habe Ihnen bereits alles erzählt, was ich über Yin weiß, Genosse Hauptwachtmeister Yu. Eine Unruhesti f terin, selbst noch nach ihrem Tod.«
»Das letzte Mal haben wir uns über Yins Roman Tod eines chinesischen Professors unterhalten. Aber auch Yang hat in ihrem Haus ein Buch veröffentlicht, eine Gedichtsammlung.«
»Stimmt, aber für Lyrik bin ich nicht zuständig. Da müssen Sie sich an meinen Kollegen Jia Zijian wenden. Die Anthologie ist einige Zeit vor dem Roman erschi e nen.«
»Hat Jia mit Ihnen über dieses Buch gesprochen?«
»Wir haben es nicht weiter diskutiert. Ein Gedich t band erreicht nicht allzu viele Leser und bringt entspr e chend wenig Geld. Yin war an diesem Buch natürlich auch beteiligt. Sie war wirklich eine harte Nuß, wollte keinen Tropfen Dünger ins Beet eines anderen fallen la s sen.«
»Kann ich mit Jia sprechen?«
»Er ist heute morgen nicht im Verlag. Am besten Sie rufen am Nachmittag noch einmal an.«
Hier kam er nicht weiter. Auch Wei war überzeugt, daß man mit einer Gedichtsammlung nicht viel verdienen konnte. Doch nach Beendigung des Gesprächs mit Wei verfolgte ihn das Gefühl, irgend etwas übersehen zu h a ben.
Alter Liang war an diesem Vormittag nicht im Büro erschienen. Vielleicht drückte er damit seinen stil l schweigenden Protest aus. Für ihn war der Fall mit Wans Geständnis gelöst, und weitere Ermittlungen empfand er als Kritik an seinem Urteilsvermögen.
Weil ihn das Gespräch mit Wei noch immer beschä f tigte, rief Yu Peiqin an.
»Das war nur eine Vermutung von Wei«, sagte Peiqin, die nicht zugestehen wollte, daß das Honorar minimal war. »Du mußt auf jeden Fall mit dem Lyrik-Lektor sprechen.«
»Ich verstehe nicht, warum Wei einer Toten gege n über so unwirsch reagiert«, sagte er.
»Ich auch nicht. Wieso sollte er ihr böse sein?« Dann fügte sie noch hinzu: »Das Sprichwort mit dem Dünger, wen kann er da gemeint haben?«
»Jemanden, der selbst die Gedichte herausgeben wol l te?«
»Aber da konnte ihr niemand Konkurrenz machen, schließlich war sie im Besitz der meisten Originalman u skripte.«
Das Sprichwort, das Wei zitiert hatte, bezeichnete in der Regel eine gierige Person oder
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