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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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er sie konta k tiert und Hongs A n schrift erfahren hatte, rief er bei der Polizei in Jiangxi an.
    Deren Informationen erreichten ihn am späten Nac h mittag. Hong lebte noch immer in dem Dorf, in dem sie die letzten zwanzig Jahre als Frau eines armen unteren Mittelbauern verbracht hatte. Sie war inzwischen selbst zu einer Bäuerin geworden. Maos Theorie von der U m erziehung gebildeter Jugendlicher hatte sich in diesem Fall als wirksam erwiesen. Hong wollte nicht mehr nach Shanghai zurück; nicht etwa wegen ihres eisernen Gla u bens an Mao, sondern wegen ihrer erfolgreichen Ume r ziehung. Ein armer unterer Mittelbauer machte sich im heutigen Shanghai nur lächerlich.
    Bao wohnte nicht mehr dort. Er hatte das Dorf vor e i nem Jahr verlassen, um nach Shanghai zu gehen. In den Neunzigern hatten Millionen von Bauern nicht länger in ihren rückständigen Heimatorten bleiben wollen, nac h dem das Fernsehen ihnen gezeigt hatte, wie die mod i sche, konsumfreudige Mittelschicht in den großen K ü stenstädten lebte. Trotz der staatlichen Bemühungen, die Entwicklung auf dem Land und in den Städten auszugle i chen, tat sich eine erschreckende Kluft zwischen Reich und Arm, Stadt und Land, der Küste und den übrigen Landesteilen auf. Diesen Gegensatz hatte die Wir t schaftsreform unter Deng vor einem Jahrzehnt festg e schrieben und mittlerweile auch umgesetzt.
    Wie so viele andere hatte Bao seine Heimat verlassen, um sein Glück zu machen. In den ersten Monaten hatte er gelegentlich noch nach Hause geschrieben und einmal seiner Mutter sogar fünfzig Yuan geschickt, doch dann wurden seine Briefe seltener und blieben schließlich ganz aus. Andere aus seinem Dorf wollten erfahren haben, daß es ihm in der Stadt nicht allzugut ergangen sei. Seine Mutter hatte zuletzt vor sechs Monaten von ihm gehört; damals teilte er sich ein Zimmer mit anderen Landsleuten aus Jiangxi, zog dann aber aus, ohne eine Adresse zu hi n terlassen.
    Nun stand Yu vor dem Problem, jemanden in einer Stadt zu f inden, in die Millionen Menschen aus allen Provinzen drängten. Sie stellten eine mobile Einsatztru p pe für die immer zahlreicher werdenden Baustellen. Und natürlich machte sich keiner von ihnen die Mühe, sich anzumelden; sie waren froh, irgendwo unterzukommen.
    Yu versuchte es bei der Adresse, wo Bao bis vor e i nem halben Jahr gewohnt hatte. Nur einer seiner früheren Zimmergenossen war noch da, doch er wußte auch nicht, wo Bao sich derzeit aufhielt. Sie hatten keinen Kontakt mehr.
    Eine Suchmeldung an alle Nachbarschaftskomitees wurde ausgegeben, besonders an jene Wohnviertel, in denen sich Zuzügler aus der Provinz bevorzugt niederli e ßen.
    Unter normalen Umständen kamen bei einer solchen Aktion die Rückmeldungen innerhalb von drei bis fünf Tagen, aber so lange konnte Yu nicht warten.

21

    Chen blieben noch ein paar Urlaubstage, aber er ging, nachdem er die Übersetzung des Projektentwurfs der New World abgegeben hatte, trotzdem ins Präsidium. Er hatte für die Arbeit nicht so lange gebraucht, wie er z u nächst gedacht hatte. Natürlich rechnete er damit, noch kleine Änderungen am Text vornehmen zu müssen, s o bald Gus amerikanischer Geschäftspartner seine Korre k turen und Vorschläge gefaxt hatte, aber Gu hatte bereits positive Reaktionen von jenseits des Pazifiks erhalten. Chen selbst war noch nicht wirklich zufrieden mit der englischen Version, die kurz gefaßt die überzeugenden Argumente für einen potentiellen Erfolg des Projekts vorstellte.
    Es wäre schön, auch im Präsidium eine Sekretärin zu haben, die ihm zuarbeitete, dachte er, doch damit mußte er sich bis zur nächsten Sprosse der Karriereleiter gedu l den. Erst dann konnte er solche Forderungen stellen.
    Er hörte ein Geräusch vor dem Fenster und blickte auf. Aus nicht allzu großer Entfernung starrte ein weiterer schuhkarton-artiger Wohnkomplex in angeblich postm o dernem Baustil zu ihm herüber. In dieser Gegend glich ein Gebäude dem anderen, und ein jedes spiegelte sich in seinem Gegenüber.
    Vielleicht wäre die New World ja doch eine Bereich e rung für das Stadtbild, eine optische Alternative zur kommerziell geprägten Einheitsarchitektur. Aber natü r lich entsprang auch die Idee der New World einzig und allein kommerziellen Interessen.
    Was ihn daran letztlich überzeugte, waren nicht die Studien zur Architekturgeschichte Shanghais, die in der Projektbeschreibung großen Raum einnahmen, sondern die Erkenntnis, daß es mittlerweile eine breite Mitte l

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