Schwarz auf Rot
Wolke war einfach gut – nicht nur wegen di e ser westöstlichen kulinarischen Kreation.
Bevor er seinen neuen Gedankengang mit Yu b e sprach, wollte er selbst ein wenig die Drähte ziehen.
Zuerst kontaktierte er den Genossen Ding, einen B e amten, der für das Abhören der Telefone von Leuten z u ständig war, über die »interne Kontrolle« verhängt wo r den war. Chen hätte das schon früher tun können, doch er wollte möglichst wenig Staub aufwirbeln, wenn Parteis e kretär Li und die Staatssicherheit im Hintergrund laue r ten. Obwohl Ding zu seinen zuverlässigen Kontakten gehörte, wollte er ihn lieber nicht zu oft bemühen.
Ding zeigte sich kooperativer, als er erwartet hatte. Bereits eine dreiviertel Stunde später rief er zurück. Yins Apparat in der Universität war zeitweilig abgehört wo r den. Den Akten zufolge war während der letzten Monate der Überwachung nichts Auffälliges registriert worden. Aber das mußte nichts heißen. Yin würde keine wicht i gen Gespräche von einem Büro aus geführt haben, das sie mit Kollegen teilte. Auch den öffentlichen Fernspr e cher in der Schatzgartengasse hatte sie kaum benutzt. Entweder war sie so einsam oder so vorsichtig, daß sie kaum telefonierte, oder aber sie tat das woanders. Chen neigte zu letzterer Erklärung. Und öffentliche Fernspr e cher konnte man nicht überwachen.
Ding versprach, sich auch die Aufzeichnungen bezü g lich Yin für die vergangenen Jahre durchzusehen. Das würde einige Zeit brauchen. Chen hatte Verständnis.
Dann rief er das zentrale Informationsbüro an und bat um eine detaillierte Liste mit Yangs Verwandten.
20
Hauptwachtmeister Yu konnte nicht viel tun. Parte i sekretär Li hatte zwar einer Verlängerung der Ermittlu n gen zugestimmt, jedoch zugleich betont, der Fall mü s se unbedingt bald abgeschlossen werden.
Wie fragwürdig sein Geständnis auch immer sein mochte, Wan war aus freien Stücken an die Behörde h e rangetreten. Man konnte nicht ausschließen, daß Wan den Mord aus einem spontanen Impuls heraus tatsächlich begangen hatte. Verlängerung hin oder her, Yu blieben nur einige wenige Tage und er bezweifelte, ob diese z u sätzliche Frist ihn weiterbringen würde. Wenn nicht bald etwas geschah, würde der Fall abgeschlossen, und Wan als Mörder angeklagt werden.
Yu wußte nicht, was er als nächstes tun sollte.
Mit Peiqin diskutierte er die neueste Entwicklung beim Frühstück, das diesmal wesentlich schlichter au s fiel: in Wasser aufgewärmte Reisreste dazu fermentierter Tofu und ein Tausendjähriges Ei. Peiqin teilte seine En t täuschung; nach so vielen Stunden des Lesens und Fo r schens schienen nun all ihre Bemühungen umsonst g e wesen zu sein.
»Glaubt man dem Sprichwort, dann werden bahnbr e chende Entdeckungen oft ohne Vorsatz gemacht«, sagte sie und zerteilte das zarte Ei, das in Sojasoße eingelegt war. »Aber man braucht dazu auch Zeit und eine glückl i che Hand.«
»Wie bei der Polizeiarbeit«, sagte er. »Ein Fall kann sich über Wochen oder Monate hinziehen, aber er ist nicht dann abgeschlossen, wenn ein Parteibonze es so will.«
»Gibt es denn irgend etwas Neues?«
»Na ja, Lei hat mich zu einem Gratis-Mittagessen ei n geladen. Er bestand darauf. Im Gegensatz zu Oberinspe k tor Chen ist es für mich etwas Neues, zur Abwechslung auch mal von einem Geschäftsmann eingeladen zu we r den.« Dann fügte er h inzu: »Yin hat sich mit den meisten Nachbarn nicht vertragen, aber einigen von ihnen hat sie geholfen.«
»Menschen zu beurteilen ist immer schwierig. Vie l leicht hat sie so sehr in der Vergangenheit gelebt – z u sammen mit Yang –, daß sie auf ihre Umgebung nicht eingehen konnte«, sinnierte Peiqin. »Oder sie konnte sich nicht aus dem Schatten der Kulturrevolution lösen.«
»Was für ein Schicksal! Ich habe ja auch ein paar Se i ten von ihrem Roman gelesen. Sie schreibt, ihr Leben begann erst, als sie Yang in der Kaderschule traf. Aber wie lange waren sie wirklich zusammen, als Liebespaar, meine ich? Das kann nicht länger als ein Jahr gewesen sein. Und jetzt ist sie womöglich wegen ihm gestorben.«
»Immerhin ist sie durch ihn zu Ruhm und Geld g e kommen«, sagte Peiqin. »Und natürlich zu dem Buch.«
Vielleicht sollte diese Bemerkung ihn trösten, aber er sah nicht, wie. »Du solltest nicht so hart mit ihr sein«, erwiderte er. »Schließlich war es ihr Buch, der Erlös da r aus stand ihr zu.«
»Ich habe ja gar nichts gegen sie. Aber Tatsache ist doch, daß sich der
Weitere Kostenlose Bücher