Schwarz-Indien
Aufsteigen be-
gann.
Mit verdoppelter Aufmerksamkeit blickte Harry rund
um sich. Jetzt drohte eine mögliche Gefahr ja nicht mehr
ihm allein.
Während der ersten Minuten dieser Fahrt nach oben
ging alles nach Wunsch, und kein Unfall schien ihm zu
drohen, als er plötzlich eine heftigere Luftbewegung wahr-
nahm, die vom Grund des Schachts ausgehen mußte. Er sah
unter sich und bemerkte bald im Halbdunkel einen sich
nach und nach emporschwingenden Körper, der ihn im Vo-
rüberschweben streifte.
Es war ein ungeheurer Vogel, dessen Art er nicht erken-
nen konnte, und der mit mächtigem Flügelschlag empor-
stieg.
Das furchtbare beflügelte Tier hielt an, schwebte einen
Augenblick in ein und derselben Höhe hin und stieß dann
wütend auf Harry nieder.
Harry konnte nur von seinem rechten Arm Gebrauch
machen, um die Schläge des gewaltigen Schnabels dieses
Tiers abzuwehren.
Er verteidigte sich jedoch nach Kräften und suchte dabei
das Kind so gut wie möglich zu schützen. Die Angriffe des
Vogels galten aber auch gar nicht dem Kind, sondern ihm
allein. Durch die Drehungen des Seils behindert, gelang es
ihm auch nicht, den Vogel tödlich zu treffen.
Der Kampf zog sich in die Länge. Harry rief aus Leibes-
kräften, in der Hoffnung, oben gehört zu werden.
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Es geschah, was er hoffte, das Seil stieg schneller mit ihm
empor.
Noch lag eine Strecke von etwa 80 Fuß vor ihm. Da gab
der Vogel seine direkten Angriffe gegen ihn auf. Jetzt drohte
aber eine weit schrecklichere Gefahr, denn er krallte sich
2 Fuß über Harrys Kopf und so weit, daß er ihn mit der
freien Hand nicht erreichen konnte, an dem Seil fest und
suchte es mit seinem furchtbaren Schnabel zu zerstören.
Harrys Haare sträubten sich.
Eine Trosse war schon zerhackt und zerrissen. Mehr als
100 Fuß über dem Grund der Schlucht begann das Seil sich
zu dehnen.
Harry stieß einen entsetzlichen Schrei aus.
Eine zweite Trosse löste sich unter der doppelten Last,
die das halb zerstörte Seil jetzt tragen mußte.
Harry ließ sein Messer fallen, und es gelang ihm ver-
möge einer übermenschlichen Anstrengung, gerade als das
Seil dem Zerreißen nah war, es mit der rechten Hand über
der durch den Schnabel des Vogels zerbissenen Stelle zu er-
greifen. Trotz seiner eisenfesten Hand fühlte er das Seil aber
doch langsam durch seine Finger gleiten.
Er hätte sich daran mit zwei Händen halten können,
wenn er das Kind opferte, das sein linker Arm noch hielt ...
Nein, er wollte daran gar nicht denken.
Inzwischen zogen ihn Jack Ryan und die beiden anderen
Bergleute, da sie Harrys verzweifeltes Rufen vernommen
hatten, immer schneller empor.
Harry glaubte nicht, daß seine Kräfte ausreichen wür-
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den, bis er die Schachtmündung erreichte. Das Blut schoß
ihm ins Gesicht. Einen Augenblick schloß er die Augen mit
der gräßlichen Erwartung, in die Tiefe zu stürzen, dann öff-
nete er sie wieder ...
Der offenbar erschreckte Vogel war verschwunden.
Gerade als Harrys Hand das Seil entgleiten wollte, um
dessen äußerstes Ende seine Faust sich krampfhaft schloß,
wurde er von seinen Gefährten ergriffen und samt dem
Kind auf den Boden niedergelegt.
Doch eine Nachwirkung konnte hier ja nicht ausblei-
ben. – Harry war bewußtlos in den Armen seiner Kamera-
den zusammengebrochen.
15. KAPITEL
Nell im Cottage
2 Stunden später kamen Harry, der die Besinnung nicht so
schnell wiedererhalten hatte, und das überaus schwache
Kind mit Hilfe Jack Ryans und seiner Kameraden im Cot-
tage an.
Jetzt erzählte man dem alten Obersteiger das Vorgefal-
lene, und Madge widmete dem armen, von ihrem Sohn ge-
retteten Geschöpf die sorgsamste Pflege.
Harry hatte ein Kind aus dem Abgrund zu bringen ge-
glaubt ... es war schon ein junges Mädchen von etwa 16 Jah-
ren. Ihr irrender, verwunderter Blick, ihr eingefallenes Ge-
sicht, dem man die Spuren grausamer Leiden ansah, ihre
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helle Farbe, die vom Tageslicht noch unberührt schien, ihre
zarte und niedliche Gestalt – alles ließ sie ebenso fremdartig
wie reizend erscheinen. Jack Ryan verglich sie mit einigem
Recht mit einem Kobold von etwas übernatürlichem Aus-
sehen. War es eine Folge der eigentümlichen Umstände, der
ganz ungewöhnlichen Umgebung, in der das junge Mäd-
chen bis jetzt offenbar gelebt hatte, daß sie dem mensch-
lichen Geschlecht nur zur Hälfte anzugehören schien? Ihr
Gesichtsausdruck mußte
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