Schwarz. Weiß. Tot.: Storys
Duvenhage.
Dann richtete er sich plötzlich auf, und ein beklemmendes Gefühl breitete sich von seiner Magengrube her aus.
Dies hier war die Stube von Antonie Wentzel de Beer.
Auch der Konstabel hatte das Ritual beobachtet, Muller war sich ganz sicher. Jeden Abend hatte er die vollkommene Schönheit
Millie Duvenhages erblickt, ihren sinnlichen |101| Tanz im Lampenschein. Selbst wenn er der hübschen, großbusigen Bauerntochter den Hof gemacht hatte – dieser schimmernd glatte
Körper im Fenster, die fließenden Bewegungen, der Rhythmus …
Plötzlich war er felsenfest überzeugt, dass de Beer nicht desertiert war. De Beer konnte gar nicht desertieren. De Beer war
ein Gefangener, genau wie er selbst mittlerweile.
Wieder klangen ihm die Worte von Adjutant-Offisier Duvenhage im Ohr:
Starren ständig aus dem Fenster, die Straße runter.
Er erinnerte sich an den Tonfall, diese hilflose Entschlossenheit, die darin mitgeschwungen hatte.
Muller stand auf, nahm seinen Bericht und riss ihn in der Mitte entzwei, einmal längs, einmal quer.
Dann ging er zur Hintertür hinaus, an Millie Duvenhages Fenster vorbei, bog um die Ecke und gelangte zur Vordertür.
Er klopfte an. Schritte auf dem Holzfußboden. Duvenhage öffnete.
Er wirkte nicht erstaunt, als hätte er Muller erwartet.
»Ich glaube, wir müssen uns unterhalten, Adjutant«, sagte Muller und trat ein.
Ein Suchtrupp aus Caledon fand de Beer am nächsten Tag in einem flachen Grab in der Kruiskloof, am Fuße einer großen Tanne.
Unter der Leiche des Konstabels lagen sein Bettzeug und seine persönlichen Gegenstände. Der Kissenbezug war rot befleckt.
Duvenhage wiederholte sein Geständnis dem Dienststellenleiter in Caledon gegenüber. Er hatte Antonie Wentzel de Beer erschossen.
Mit seiner Dienstpistole. Im Schlaf.
|102| »Ich habe das Kissen vor den Lauf gehalten, um das Geräusch zu dämpfen. Dann habe ich ihn auf dem Pferd hoch in die Kruiskloof
gebracht.«
»Warum?«, fragte Muller erneut.
Duvenhage schwieg, ebenso wie am Abend zuvor. Doch sein Blick wanderte hinaus aus dem Fenster, die Straße hinunter.
Die uniformierten Kollegen aus Caledon brachten Duvenhage im
Meraai
nach Kapstadt. Muller blieb noch etwa zwei Stunden länger, weil er wissen wollte, ob die Suchtrupps die Tochter fanden.
Die Tochter. Niemand im Dorf nannte sie bei ihrem richtigen Namen. »Die Tochter«, sagten sie nur. Begleitet von einem mitleidigen
Kopfschütteln.
Gegen Sonnenuntergang wusste Muller, dass man sie nicht finden würde. Jedenfalls nicht heute. Er lud seine Sachen in den Chevy,
verabschiedete sich und fuhr los. Er schaltete die Scheinwerfer ein, denn es war bereits stockdunkel. Er fuhr langsam, erfüllt
von Hoffnung.
Er erreichte die Stelle, an der er sie zum ersten Mal gesehen hatte.
Er hielt an.
Nichts. Nur Sterne und Stille.
Schließlich fuhr er weiter, widerstrebend, enttäuscht.
Erst später, hinter Grabouw, fragte er sich, ob er am Wochenende würde arbeiten müssen. Ob ihn vielleicht jemand mitnehmen
könne, der in Richtung Hermanus fuhr, so dass er in Botrivier aussteigen konnte.
Er sah auf die Uhr. Es war kurz nach acht.
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|103| Der Schuh in Maria
(Die skoen in Maria)
|105| Sie lag ausgestreckt auf dem Marmortisch, und sogar jetzt noch erkannte man, wie vollkommen sie war: die kleinen Füße, die
schlanken Knöchel, die sanft geschwungenen Waden, die in zarte Knie übergingen. Die Schamhaare unterhalb ihres flachen Bauches
waren abrasiert, bis auf ein kleines Büschel ganz oben auf dem Schamhügel, das wie als intimer Scherz stehen geblieben war.
Über diesen schönen Körper spannte sich ihre makellose, sonnengebräunte Haut.
Ich sah zu, wie Visconti ihren Kopf zerlegte.
Er trug eine Plexiglas-Schutzbrille, damit ihm keine Knochenspäne in die Augen flogen, während er mit der Elektrosäge ihren
Schädel öffnete. Die Säge kreischte hoch und schrill wie ein Zahnarztbohrer. Diese wenigen Momente waren die einzigen, in
denen Visconti schwieg, denn hatte er erst die Säge abgeschaltet, würde er sofort wieder in das Mikrofon murmeln, das ihm
an einer Schnur um den Hals hing. Lateinische Begriffe für Knochen und Muskeln, Hirnlappen, Organe, Nerven. Visconti redete
gern – mit sich selbst, mit den Leichen auf seinem Tisch, mit den Lebenden in seiner Nähe. Er hatte zu allem eine Meinung.
Nicht nur – das war selbstverständlich – zur jeweiligen Todesursache, sondern auch zu den aktuellen
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