Schwarz. Weiß. Tot.: Storys
Inszenierungen |106| an der Scala, manchmal zu Berlusconi. Zu diesem derzeit recht häufig. Der Pathologe war ein eleganter Mann, da stand er seinen
Vorfahren in nichts nach. Obwohl er verheiratet war, galt er als Frauenheld, mit seinen silbrigen Schläfen und seiner Aristokratennase.
Er legte die Flex weg und nahm die Brille ab.
Murmel, murmel, murmel.
Seine Gummihandschuhe glänzten von Blut. Er klappte einen Teil ihres Schädels auf wie eine Memorykarte.
»Es war nicht der Schuh, Verruca«, behauptete er.
Ich heiße gar nicht Verruca.
Das war eine weitere Marotte von Visconti: Mit einer gewissen selbstherrlichen Arroganz teilte er Spitznamen aus wie Etiketten,
als habe er es nicht nötig, sich die richtigen Namen zu merken. Meinen korrekten Namen kannte er durchaus – dennoch. Er war
es auch gewesen, der meinen Kater Gatto in »Spaventoso«, »Schreckgespenst«, umgetauft hatte. Eines Abends, als er einen Obduktionsbericht
bei mir zu Hause ablieferte, sah er die Katze auf dem Dielenboden sitzen. »Hässliche Katze, Verruca. Wie heißt sie? Spaventoso?«
Und jetzt behauptete er doch glatt, der Schuh sei nicht die Todesursache gewesen. Ich entgegnete nichts. Ich wartete, denn
er hatte nun mal vor, eine Theatervorstellung zu geben.
»Der Absatz hat den Augapfel nicht durchdrungen«, stellte er fest. »Der Sturz war die Todesursache. Sie ist mit dem Hinterkopf
auf etwas Hartes geprallt. Für mich stellt sich die Situation so dar: Der Täter stand vor ihr und rammte ihr den Schuh mit
voller Wucht ins Auge. Der Absatz |107| war zwar nicht spitz genug, um den Knochen dahinter zu durchbohren, aber durch die Wucht des Aufpralls ist sie hintenüber
gestürzt und gegen einen Gegenstand geprallt. Weißt du, was es war?«
»Die Glasplatte des Wohnzimmertischs«, antwortete ich.
»Sie muss die Ecke getroffen haben.«
»Hat sie.«
»Und da haben wir die Todesursache. Die Ecke des Glastischs hat die sagittale Naht des Os parietale durchdrungen, bis ins
Gehirn.«
»Der Täter?«
»Ist nur so eine Vermutung, Verruca, denn der Winkel, in dem der Absatz in die Augenhöhle gestoßen wurde, lässt darauf schließen,
dass es jemand getan hat, der größer war als sie. Ein Rechtshänder. Und sehr stark, was ebenfalls für einen Mann spricht.
Habt ihr Fingerabdrücke auf dem Schuh gefunden?«
»Nein. Sie wurden abgewischt. Mit einem Staublappen.«
Der Pathologe nickte. »Sie hat Kokain geschnupft. Hin und wieder.«
Ich machte mir eine Notiz. »Tun die doch alle«, bemerkte ich.
Signora Fabricius weinte, aber beherrscht, als sei es eine Pflichtübung. »Sie war so ein liebes Kind,
Ispettore
, wer in Gottes Namen tut so etwas? Welches Ungeheuer? In was für einer Welt leben wir?«
»In einer bösen Welt, Signora.«
»Ganz recht, ganz recht«, pflichtete sie mir bei und tupfte sich behutsam die Tränen von den hohen Wangenknochen. |108| Ich schätzte sie auf Mitte fünfzig, aber das war reines Rätselraten, denn sie war künstlich konserviert. »Können Sie sich
vorstellen, wie das ist, jemanden aus seiner nächsten Umgebung auf solch eine Weise zu verlieren?«
Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet, und für einen Augenblick empfand ich das beinahe unwiderstehliche Bedürfnis, ihr
von Claudia zu erzählen. Alles.
Dann hatte ich mich wieder in der Hand. Sie wollte gar keine inhaltliche Antwort, sondern nur Mitgefühl. »Wie lange war sie
bei Ihrer Agentur?« Ich hielt das Notizbuch auf dem Schoß, den Stift gezückt.
»Oh, drei, vier Jahre. Sie war sehr begehrt. Nur wenige haben solche Füße wie sie.«
»Ach ja?«
»Wissen Sie, Ispettore, Schönheiten gibt es viele«, erklärte sie, ohne mich anzusehen. »Ich meine, in meiner Agentur. Aber
diese Füße, vollkommene, kleine Füße in Kombination mit diesen wohlgeformten Beinen, das kommt selten vor. Dabei herrscht
gerade danach rege Nachfrage.«
»Bei den Schuhdesignern?«
»Selbstverständlich.«
»Signora, fällt Ihnen irgendjemand ein, der Maria schaden wollte?«
»Nein, Ispettore, sie war ein Engel. Stets ein Lachen auf den Lippen, immer und überall. Ich kann das einfach nicht glauben,
es muss ein Einbrecher gewesen sein …«
»Wir wissen es noch nicht. Aber es scheint, als sei nichts gestohlen worden. Hatte sie keine Probleme bei der Arbeit?«
|109| »Aber nein, nicht Maria.«
»Wissen Sie, ob sie einen Freund hatte? Sie wissen schon …«
»Bis vor kurzem war sie mit jemandem zusammen, aber sie haben sich
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