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Schwarz. Weiß. Tot.: Storys

Titel: Schwarz. Weiß. Tot.: Storys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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waren geschlossen, der Wagen war unbeschädigt,
     es gab keine Kampfspuren. Doch Mevrou Hayward saß tot am Steuer, mit einer einzigen Stichwunde im Herzen. Hinter ihr warteten
     zwei Studenten in einem Fiesta. Sie hupten, als sie bei Grün nicht losfuhr. Als die Ampel zum zweiten Mal umsprang und sie |134| noch immer nicht weiterfuhr, stieg einer der beiden jungen Männer aus, ging an ihre Tür, sah die leblosen Augen und den roten
     Fleck auf ihrer Bluse und rief die 10111 an. Die Rettungskräfte mussten die Scheibe des X5 einschlagen, um die Türen zu öffnen,
     damit sie die Leiche bergen konnten. Die Studenten schworen einhellig, sie hätten niemanden in der Nähe des Wagens gesehen.
     Der Rechtsmediziner sagte aus, die Wunde sei sofort tödlich gewesen. Drei Wochen später war die Polizei bei ihren Ermittlungen
     noch keinen Schritt weitergekommen.
    Pearlie blickte auf, als sie fertig gelesen hatte. »Sehr seltsam, Johnnie, genau wie der andere Fall«, sagte sie verwundert.
    »Stimmt.«
    Pearlie faltete den Ausschnitt zusammen und steckte ihn zurück in den Umschlag. Dann lehnte sie sich an ihn und flüsterte
     ihm ins Ohr: »Es muss einen Grund dafür geben, warum sich jemand damit an dich gewandt hat.«
    Er antwortete nicht.
    »Alles hat einen tieferen Sinn.«
     
    Am Empfang lieferte er die Fancies bei Mavis ab. Sie dankte ihm mit einem strahlenden Lächeln, während sie weiterhin Anrufe
     annahm. October wartete einen Augenblick und versuchte herauszufinden, wie jemand hier einen Brief abgeben konnte, ohne dass
     Mavis es bemerkte. Es erschien ihm unmöglich.
    Nach dem nächtlichen Unwetter war es kalt im Archiv. Octobers Schritte hallten hohl in dem großen Raum wider, und ihr Echo
     wurde von den Reihen der Stahlschränke zurückgeworfen. |135| An seinem Schreibtisch, der in der Mitte stand, zog er erst die beiden hellgelben Briefe aus seiner Jackentasche und legte
     sie nebeneinander hin. Dann holte er den Rollwagen mit den neuen Dokumenten aus dem Flur und schob ihn neben seinen Schreibtisch.
     Er begann, die Akten zu ordnen, methodisch, präzise, so wie immer – als besäßen seine Aufgaben, seine Pflichten, tatsächlich
     eine Bedeutung. Während der Arbeit dachte er unablässig an die beiden Briefe und fragte sich, was er mit ihnen anfangen sollte.
    Er arbeitete bis zwanzig nach zehn, und da er wusste, dass es um die Zeit ruhig war in der Teeküche, holte er sich einen Becher
     starken Englischen, nahm ihn mit an seinen Arbeitsplatz und setzte sich. Er öffnete die Kuverts, breitete den Inhalt ordentlich
     vor sich aus, trank in kleinen Schlucken von seinem Tee und starrte die Zeitungsausschnitte an. Angestrengt dachte er nach.
     Es fiel ihm schwer, denn auf diese Weise konnte man im Grunde gar nicht richtig nachdenken. Konnte ein
Ermittler
nicht richtig denken. Ein Ermittler nahm sein Notizbuch zur Hand und legte Listen an, ordentlich, vollständig, methodisch.
     Fügte hinzu, strich durch, überlegte, wog ab, lernte auswendig, grübelte.
    Doch er war schon lange kein Ermittler mehr. Er war nur noch ein Sachbearbeiter. Mit Offiziersrang.
    Sein Impuls, die unterste Schreibtischschublade aufzuziehen, überraschte ihn selbst. Rasch trank er seinen Tee aus, stand
     entschlossen auf und ging zum Rollwagen. Die Akten, die zu Gericht geschickt wurden, musste er bis mittags vorbereitet haben.
     Er hatte keine Zeit zu vertrödeln.
    Er ertappte sich dabei, dass er sich beeilte. Zum ersten Mal seit Monaten. Seit Jahren. Um Viertel vor zwölf hatte |136| er die letzte Akte herausgesucht, kontrolliert und bereitgelegt. Er schob den Rollwagen hinaus auf den Flur und kehrte rasch
     an seinen Schreibtisch zurück. Dort öffnete er die unterste rechte Schublade, griff nach dem Paket Croxley-Notizbüchern, zog
     die Gummiringe ab, nahm das oberste Buch weg, legte es auf den Tisch und öffnete es. Die erste leere Seite war schon ein wenig
     altersvergilbt. Dann griff er nach einem Bleistift. Seine Hand zitterte ein wenig, als fiebere er. Er legte zwei Spalten an,
     eine für Holtzhausen, eine für Hayward.
Anwalt
schrieb er über die eine Spalte,
Bauunternehmerin
über die andere. Schnitt durch die Kehle gegenüber Stich ins Herz. Mitte Juni gegenüber Mitte Oktober. Rätsel gegenüber Rätsel,
     Kapstadt gegenüber Stellenbosch, mittags gegenüber nachts. Der Artikel über Holtzhausen war von einer Notiz begleitet gewesen:
Das war kein Unfall. Es war Mord.
Der Zeitungsartikel über die Frau war kommentarlos

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