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Schwarz. Weiß. Tot.: Storys

Titel: Schwarz. Weiß. Tot.: Storys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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unwiderstehliche Anziehungskraft ausübte. Er sprang über den niedrigen Gartenzaun und rannte kläffend auf den
     Müllwagen zu, praktisch genau vor einen herannahenden Nissan-Pick-up. »Und da habe ich die Zeit angehalten«, sagte Nita, als
     sei es die normalste Sache der Welt. »Alles stand still. Wie bei einem Foto: Man fängt eine Szene in einem bestimmten Augenblick
     ein. Nichts kann sich bewegen. Ich habe es zuerst gar nicht registriert, als es damals geschah, dafür war ich zu böse auf
     Rosti. Ich bin über den Rasen gerannt und habe nicht mal bemerkt, wie schwer das Tor plötzlich aufging. Ich stürzte über den
     Bürgersteig zu Rosti hin und zog ihn ganz knapp vor dem Vorderreifen weg. Ich wollte ihn schimpfen, ihm einbläuen, wie unartig
     das war, aber da erst habe ich bemerkt, dass ich nichts hören konnte. Ich stand also da auf dem Bürgersteig, den Hund unter
     dem Arm, und erkannte, dass etwas sehr |166| Merkwürdiges vor sich ging. Alles stand still. Alles. Und ich merkte, dass keine Geräusche wahrnehmbar waren. Wie in einem
     Vakuum. Es herrschte Totenstille. Nichts rührte sich. Und dann war es, als ließe ich los, als sage mein Kopf, okay, die Dinge
     können sich wieder bewegen. Da gab es ein lautes Poltern, und alles lief wieder normal.«
     
    »Superintendent?«
    Er erkannte, dass er sie anstarrte, und entschuldigte sich.
    »Schon okay. Ich würde mich auch ziemlich wundern, wenn mir das einer erzählte. Jedenfalls war das der Anfang. Zuerst war
     es ziemlich schwierig, diesen Zustand bewusst herbeizuführen. Es klappte nur, wenn ich unter großem Druck stand. Aber dann
     begriff ich allmählich, wie es funktionierte. Es war genau so, wie du es vor zehn Jahren ausgedrückt hast: ›Man kann kraft
     seines Geistes bestimmte Geschehnisse beeinflussen und Ereignisse auslösen.‹ Weißt du eigentlich, wie ich dich gefunden habe?
     Ich habe gegoogelt, zuerst nur auf Englisch, zum Beispiel
time standing still, controlling time
und so weiter, aber nur eine Menge Mist zur Antwort erhalten. Bis ich vor zwei Monaten
Geschehnisse beeinflussen
und
Ereignisse auslösen
auf Afrikaans eingegeben habe und auf deinen Artikel gestoßen bin. Kann ich mir auch ein bisschen von dem Trifle nehmen? Der
     sieht ja köstlich aus!«
    »Natürlich«, sagte er. »Natürlich.«
    Während sie am Büfett stand, ließ er Revue passieren, was sie ihm erzählt hatte, und musste ein Lachen unterdrücken. Er schüttelte
     den Kopf. Na schön, Johnnie October, jetzt hast du alles gehört. Doch was das Ganze so surreal |167| erscheinen ließ, waren ihre Aufrichtigkeit, ihre Arglosigkeit, ihre kindliche Ehrlichkeit.
    Sie kehrte an ihren Platz zurück, den Dessertteller hoch voll mit süßem Schichtpudding.
    »Beweise es mir!«, verlangte er.
    »Habe ich doch heute Nachmittag schon getan«, erwiderte sie und löffelte den Pudding mit großem Appetit. »Deine Frau kocht
     wirklich unheimlich gut.«
    »Weiß ich«, antwortete er in Gedanken versunken. Dann fragte er: »Heute Nachmittag? Mit dem Wecker?«
    »Wie hätte ich das denn sonst anstellen sollen?«
    Das wusste er beim besten Willen nicht.
    »Kannst du mir … noch ein Beispiel zeigen?«
    »Klar«, nuschelte sie, den Mund voller Trifle. Dann fügte sie hinzu: »Aber denk dran – ich kann nicht einfach irgendetwas
     tun.«
    »Nicht?«
    »Nein, ich könnte zum Beispiel nicht in ein Auto einsteigen und losfahren. Denn der Motor braucht Zeit, um anzuspringen, das
     Benzin, um zum Fließen gebracht zu werden und so weiter. Und das geht nicht, denn die Zeit steht still.«
    »Aaah ja«, sagte er, obwohl er es immer noch nicht richtig verstand.
    »Stell dir einfach mal vor, ich würde Frühstück machen. Ich kann in der Auszeit Brot schneiden, aber nicht das Wasser im Kessel
     zum Kochen bringen, denn der Strom braucht Zeit, um den Kessel zu erwärmen.«
    »In der Auszeit?«
    »So nenne ich diesen Zustand. Weil die Zeit ausgeschaltet |168| ist. Und damit auch alle Geräusche. Ich glaube, der Schall braucht ebenfalls Zeit, um sich auszubreiten.« Dann aß sie weiter.
    Draußen zog das Wummern von Rockmusik-Bässen seine Aufmerksamkeit auf sich. Er blickte durch das Restaurantfenster. Auf der
     Straße stand ein weißer Corsa-Pickup vor der roten Ampel. Auf den Vordersitzen saßen drei junge Männer. Sie hatten die Scheiben
     heruntergelassen, und der Fahrer trommelte mit einer Hand den Rhythmus auf dem Dach mit.
    October zeigte auf den Bakkie. »Kannst du dafür sorgen, dass

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