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Schwarz. Weiß. Tot.: Storys

Titel: Schwarz. Weiß. Tot.: Storys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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Pienangcurry auf und aß es im Archiv, die Unterlagen der beiden Mordfälle
     vor sich auf dem Tisch – die »Zeitfälle«, wie er sie inzwischen insgeheim nannte. Holtzhausen, der Anwalt, dem am helllichten
     Tag von einer unsichtbaren Geisterhand in einem Kapstädter Restaurant die Kehle durchgeschnitten worden war. Mercia Hayward,
     die Bauunternehmerin, die mit einer Stichwunde im Herzen an der Kayamandi-Ampel kurz hinter Stellenbosch tot in ihrem X5 aufgefunden
     worden war. Nichts war gestohlen worden: ihr Handy, ihr Portemonnaie, alles noch da.
    Das Motiv – das war die große Unbekannte, die alles entscheidende Frage. Er machte sich Notizen in seinem Buch, damit er vorbereitet
     war, wenn Nita kam.
    Um Viertel vor zwei verschickte er die E-Mail, die er auf dem Weg zur Arbeit im Kopf entworfen hatte. An alle Kripo-Dezernate
     Südafrikas:
Auf Wunsch eines Kriminologie-Examenskandidaten bitte ich Sie, mir die SAP5-Formulare aller ungelösten Fälle von bizarren,
     seltsamen und unerklärlichen Straftaten der letzten 24 Monate zuzusenden. Vielen Dank im Voraus, Supt. John October, Archiv,
     SAPD Provinziale Sondereinheit, Bellville-Suid.
    Eine glatte Lüge, dachte er. Tut aber keinem weh.
    |172| Um drei Uhr rief er nochmals bei Pearlie an. »Ja, Zuyane ist hier, wir schaffen das schon.«
    Um halb vier trafen die ersten Antworten auf seine Bitte ein, bissige Reaktionen von Dienststellen- und Dezernatsleitern.
     Er hatte damit gerechnet; die Kollegen ergriffen jede Gelegenheit beim Schopf, um ein wenig den Druck vom Kessel zu nehmen.
     »Unsere Fälle sind alle bizarr, Supt., soll ich den ganzen Stapel schicken?« Oder: »Auf De Aar wurden in den letzten fünf
     Jahren drei UFOs gesichtet. Zählen die auch?« Und: »Können diese Griffelpisser denn nicht etwas Vernünftiges erforschen?«
    Um Punkt Viertel vor vier wurde an die Tür des Archivs geklopft.
    »Herein!«, rief er, fast erleichtert, denn er hatte doch so seine Zweifel gehegt.
    Sie begrüßte ihn mit einem munteren »Tag, Oom Johnnie!« und trat ein, mit einem breiten Lächeln und jener sprühenden Energie,
     wie nur Neunzehnjährige sie ausstrahlen konnten. Ihre langen, hellen Haare trug sie zu einem Zopf geflochten, und ihr sportlicher
     Körper steckte in Jeans, einem orangefarbenen T-Shirt und Joggingschuhen. Er stand auf, reichte ihr die Hand, die sie energisch
     schüttelte, und bat sie, sich zu setzen.
    »Nur so aus Neugier: Ist Nita dein richtiger Name?«
    »Anita«, verbesserte sie. »Meine Mutter hat mich Nita genannt. Gestern Abend ist mir auf die Schnelle nichts anderes eingefallen,
     was sich cool anhörte.« Sie stützte die Ellbogen auf dem breiten Schreibtisch ab. »Womit fangen wir an?«
    Er schob seine persönlichen Fragen auf, zum Beispiel, was sie tagsüber tat und warum sie immer genau um Viertel |173| vor vier mit ihm Kontakt aufnahm. Er tippte mit einem Finger auf die beiden Akten. »Spekulieren wir erst mal ein bisschen«,
     schlug er vor. »Du bist ab jetzt die Expertin.«
    »Ach ja?«
    »Ja, du musst dich in ihn hineinversetzen …«
    »In ihn?«
    »Unsere Arbeitshypothese.«
    »Cool.«
    »Angenommen, er kann dasselbe, was du kannst …«
    »Kann er«, sagte sie mit großer Überzeugung.
    »Warum ist er ausgerechnet so vorgegangen? Er hätte doch unendlich viele Möglichkeiten gehabt. Dirk Holtzhausen, der Anwalt
     … Er hätte ihn in seiner Kanzlei ermorden können. Warum sollte er einen so öffentlichen Ort wählen? Mercia Haywards Tod hätte
     er als Autounfall tarnen können. Wenn ich die Art deines … Talents … richtig verstanden habe, hätte er ihr einfach irgendwo
     am Straßenrand auflauern und im richtigen Moment die Zeit anhalten können …«
    »Er prahlt«, meinte sie.
    »Aber warum?«
    »Weil er es kann.«
    »Ich glaube nicht. Wenn ein- und derselbe Verdächtige in zwei Morde verwickelt ist, können wir fast von einem Serienmörder
     sprechen. Ein seltsamer, eigenartiger Serienmörder, da muss ich dir recht geben, aber die grundlegenden Thesen sind auch auf
     ihn anwendbar. Solche Typen wollen etwas aussagen. Alle wollen auf ihre Weise ausdrücken: ›Seht mich an. Ich bin anders. Ich
     bin einzigartig.‹ Und diese Besonderheit sagt uns wiederum meist etwas |174| darüber, wie sie ticken. Außerdem ist es ein Hinweis auf das Motiv. Bei einem typischen Serienmörder ist das Motiv fast immer
     ein psychischer Kurzschluss. Das Einzige, was wir daraus entnehmen können, sind Hinweise auf das Profil seiner

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