Schwarz wie Samt
das Bett. Ich konnte es nicht glauben. Was war nur mit ihr passiert? Ina, die immer so fröhlich gewesen war, die nur Blödsinn im Kopf hatte. Ina sollte tot sein.
Meine Mutter setzte sich zu mir aufs Bett und streichelte meinen Kopf. Der Schmerz hatte mich sprachlos gemacht. Was sollte ich nur ohne meine beste Freundin anfangen? Seit sechs Jahren war sie Teil meines Lebens geworden. Wir hatten alles geteilt, jede Freude, jedes Leid. Ich hätte ihr so gerne mein Hotel gezeigt. Ich weiß, dass sie begeistert gewesen wäre. Ina war mir nach Salman der liebste Mensch. Sicher, ich mochte meine Eltern auch, aber sie gingen mir oft auf die Nerven, meine Mutter mehr als mein Vater, der eigentlich immer ruhig war.
Ich musste nun innerhalb eines Monats zur zweiten Beerdigung, ging es mir durch den Kopf. Der Tod von Onkel Jacob hatte mich nicht sonderlich bewegt, aber Inas Tod war eine persönliche Katastrophe für mich. All mein Mut war aus mir gewichen. Es musste ein schreckliches Unglück geschehen sein. Am Samstag würde ich es erfahren. In meinem Bauch krampfte sich alles zusammen, ich bekam schreckliche Schmerzen und meine Mutter besorgte mir eine Wärmflasche, die ich mir auflegte. Ich versuchte zu schlafen, aber in mir pulsierte der Schmerz. Ich konnte an nichts anderes denken, als an meine tote Freundin.
Der Bahnsteig war menschenleer, als ich in Erlenstegen ankam. Außer mir stieg nur ein weiterer Passagier aus. Die Konditorei, aus der Ina stammte, lag mitten im Ort. Ich machte mich dahin auf den Weg. Vor dem Gasthof traf ich Agnes mit rot zugeschwollenen Augen, meine Zimmergenossin aus dem Internat. Auch sie war mit Ina befreundet gewesen. Wir umarmten uns und mussten beide weinen. „Was ist nur mit ihr passiert?“ fragte ich Agnes. Sie sah mich an und sagte: „Du weißt es noch gar nicht?“, „Nein, Inas Vater hat mir nicht gesagt, was ihr zugestoßen ist.“
Agnes sah mich verzweifelt an: „Sie hat sich umgebracht!“ „Umgebracht?“, das glaube ich nicht. „Warum denn?“ „Sie hat Brezellauge getrunken. Daran ist sie gestorben.“ „Aber warum hat sie so etwas getan?“ Ich konnte es nicht fassen. Einen Unfall hatte ich für möglich gehalten, aber dass sich Ina umbringen würde, hätte ich nie gedacht. Sie, die alles immer so lustig fand und nie ernst sein konnte. Agnes sagte weiter: „Sie hat Liebeskummer gehabt mit dem Mario.“ „Aber deswegen braucht man sich doch nicht umzubringen!“ rief ich entrüstet. „Ja, aber ihre eigene Schwester hat ihr den Freund weggeschnappt, das hat sie nicht ausgehalten.“, entgegnete Agnes.
Das war es also, was mir Ina im Café Weinmann erzählen wollte. Die ganze Wahrheit hatte sie mir allerdings verschwiegen, dass es ihr so ernst gewesen war mit dieser Liebe zu Mario. Ich fühlte mich mitschuldig. Warum hatte ich nicht genau nachgefragt, vielleicht hätte ich es ihr ausreden können.
„Sie hat Brezellauge getrunken, sagst Du?“, „Ja“, antwortete Agnes. „Sie haben ihr im Krankenhaus noch den Magen ausgepumpt, aber die Lauge hat die Speiseröhre zerfressen und sie konnten ihr nicht mehr helfen.“ „Aber, das ist ja grausam! Warum hat sie nur so etwas Schreckliches getan?“ Agnes schüttelte den Kopf: „Wir werden es nicht mehr erfahren.“, sagte sie unter Tränen.
Die Beerdigung ging an mir vorüber. Ich hatte das schreckliche Bild vor mir, Ina mit zerfressener Speiseröhre, nach Luft röchelnd und sterbend. Es würde mich ein Leben lang verfolgen. Ich nahm weder die übrigen Trauergäste noch den Gottesdienst wahr. Welcher Mann hatte dieses Unheil angerichtet? Ich war froh, dass ich ihn nicht kennen lernen musste. Nie wieder würde ich nach Erlenstegen kommen, nie wieder Ina sehen und alle unsere gemeinsamen Erinnerungen würde sie mit sich ins Grab nehmen.
Als ich nach Berlin zurückkam, war mein Vater bereits nach Kenia abgereist. Seine Geschäfte gingen weiter. Meine Mutter und ich würden uns nun um unsere Erbschaft kümmern. Der Notartermin war für den nächsten Tag angesetzt. Auch Ivan musste anwesend sein. Meine Mutter hatte ihn verständigt, nicht ohne vorher nochmals mit ihm zu sprechen. Sie hatten sich geeinigt, wenigstens zwei Häuser zu verkaufen und mit dem Geld die restlichen Hotels zu renovieren. Die Bilanzen für mein Hotel lagen inzwischen auch vor. Das Geschäft war gar nicht so schlecht gelaufen, das musste sogar meine Mutter zugeben. Frau Koch hatte gut gewirtschaftet und einen ordentlichen Gewinn gemacht. Also konnte
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