Schwarz wie Samt
einem kurzen Gespräch mit der Hotelleitung beschloss meine Mutter, im Augenblick alles so weiterlaufen zu lassen. Erst nach der Besichtigung aller Häuser würde sie eine Entscheidung treffen. Außerdem musste sie dazu mit Ivan Lambertz verhandeln, der schließlich Miterbe war. Obwohl meine Mutter versucht hatte, ihn ausfindig zu machen, war es ihr nicht gelungen, Kontakt mit ihm aufzunehmen.
Wir setzten unsere Besichtigungstour fort. Die weiteren Hotels waren in einem ähnlichen Zustand. Aber sie waren viel kleiner und lagen größtenteils am Stadtrand von Berlin. Es war Abend, als wir mit unserer Tour zu Ende waren und ich fiel in unserem Hotel nur noch ins Bett. Ich hatte keine Lust, den Ausführungen und Ideen meiner Mutter weiter zuzuhören. Das einzige Hotel, das wir noch nicht besichtigt hatten, war das im Spreewald. Es stand für den nächsten Tag auf dem Programm.
In der Hotellobby wartete am Morgen Ivan Lambertz auf uns. Er hatte sich nicht angemeldet. Mit seiner schlottrigen Jeans und dem ausgeblichenen Hemd wirkte er sehr jugendlich. Er ging mit ausgestreckter Hand grinsend auf meine Mutter zu. Offensichtlich hatte er sich an sie erinnert, da er sie auf der Beerdigung meines Onkels gesehen hatte. Obwohl meine Mutter zu diesem Zeitpunkt versucht hatte, ihn elegant an mir vorbei zu bugsieren, hatten wir uns gegenseitig nicht aus den Augen gelassen. Auch ohne dunklen Anzug sah er umwerfend aus, wie ich feststellen musste. Sein Händedruck war kräftig und seine Augen musterten mich von oben bis unten. Die gelockten Haare hatte er hinter die Ohren geschoben, was ihm einen lausbubenhaften Ausdruck verlieh. Er war nur wenig jünger als ich, aber sein Auftritt hatte etwas weltgewandtes, trotz der seltsamen Kleidung. Obwohl meine Mutter nur in abfälligem Ton von dem „unehelichen Bankert“ gesprochen hatte, musste sie sich nun mit ihm abgeben. Er war Miterbe und damit ein ernstzunehmender Konkurrent um die Hotels und das Geld, das mein Onkel angespart hatte.
Nachdem meine Mutter dringend darauf angewiesen war, mit Ivan zurecht zu kommen, nahmen wir ihn zur Besichtigung meines Hotels mit.
Wir fuhren quer durch Berlin. Mein Vater genoss es sichtlich, einmal nicht offiziell unterwegs zu sein. Er erklärte uns im Vorüberfahren die Sehenswürdigkeiten, den Reichstag, den Fernsehturm, den Palast der Republik, die Brücken über die Spree, bis wir in den Außenbezirk „Spreewald“ kamen. Dort kannte sich mein Vater nicht aus. Wir suchten nach dem Hotel und mussten Passanten fragen. Aber dann standen wir davor: „Die Waldeslust“. Was für ein alberner Name, ging es mir durch den Kopf, den würde ich in jedem Fall ändern. Wir stiegen aus und gingen um das Hotel herum. Es stand in einem kleinen Park, der an die Spree grenzte. Dort lag ein Ruderboot im Wasser. Eine kleine Villa, direkt am Seeufer gelegen, gehörte auch dazu.
Meine Mutter sah mich triumphierend an: „Siehst du nun, dass es nötig ist, sein Eigentum in Besitz zu nehmen.“ Ich verstand ihre Bemerkung nicht recht. Sie sah mir an, dass ich nicht wusste, was sie damit meinte.
„Man muss sein Grundstück von einem Ende bis zum anderen ablaufen, um es in Besitz zu nehmen, erst dann gehört es einem.“ Mein Vater schmunzelte. „Deine Mutter ist schlauer als wir alle zusammen“, war sein Kommentar. Nun gut, wir hatten das Grundstück abgeschritten.
Jetzt würden wir uns das Hotel von innen ansehen. Vor dem Eingang standen zwei große Platanen, unter denen einige Sitzgruppen aufgebaut waren. Der Eingang selbst war von zwei kleinen Säulen eingesäumt. Eine breite Treppe führte auf die altmodische Glastüre zu. Ich war gespannt, was uns dort erwartete. Die Lobby mit dem integrierten Anmeldetresen war im reinsten Jugendstil gehalten. Überall bunte verschnörkelte Gläser und dunkle Holzschnitzereien mit Pflanzengirlanden und Rosen. Die Atmosphäre war düster wie in einem Spukschloss.
Hinter der Theke stand eine ältere Dame mit weißem Kostüm, das ebenso altmodisch anmutete wie der Rest der Einrichtung. Sie kam hinter dem hohen Tresen hervor, um uns in Empfang zu nehmen.
Meine Mutter stellte uns vor. Die Dame wurde blass und ihre Stimme begann zu zittern. Sie sah mich eingehend an, dann sagte sie: „Sie sind also die neue Besitzerin!“ Ich musste zugeben, sie sah trotz des altmodischen Kostüms mit der Spitzenbluse sehr sympathisch aus. Ivan hatte sich in der Lobby umgesehen und sagte zu mir: „Wollen wir uns den Kasten erst einmal
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