Schwarz wie Samt
Er setzte sich wieder neben mich auf das Sofa und legte seinen Arm um mich: „Sei wieder fröhlich“, raunte er mir ins Ohr, „das traurige Gesicht steht dir überhaupt nicht!“
Salman roch nach Amber, diesem magischen Stein, den er immer in einer Tasche seiner Kleidung mit sich trug. Er mochte keine Rasierwasser oder Eau de Toilette, wie es deutsche Männer verwendeten. Für Salman gab es nur Amber oder Sandelholzöl, von dem auch ich mir gelegentlich in ein paar Tropfen hinters Ohr tupfte. Vielleicht hatte Salman ja Recht, wenn er behauptete, dass Inzest kein schlimmes Verbrechen war. Ich hatte aber Angst, dass meine Erbanlagen vielleicht verändert waren. Wir hatten in der Schule von Fehlbildungen und schlimmen Krankheiten gehört, die durch defekte Gene oder seltsamen Genkombinationen ausgelöst wurden. Ich bedauerte jetzt sehr, dass mich das damals kaum interessiert hatte und so war ich sehr verunsichert, ob ich nicht eine schlechte Erbmasse hatte. Doch davon sagte ich zu Salman nichts. Ich würde bei meinem nächsten Arztbesuch nachfragen, um Klarheit zu gewinnen.
Die Woche verging, ohne dass ich meine Mutter noch einmal zu Gesicht bekommen hatte. Frau Koch sagte mir, dass sie sich um den Verkauf eines Hotels kümmerte, um Geld für die Renovierung des „Oriental“ aufzutreiben. Ich war froh, wenn sie beschäftigt war und mich in Ruhe ließ. In der nächsten Woche würden wir gemeinsam vor Gericht erscheinen, um Ivans Klage abzuwehren. Ich hatte mich inzwischen entschlossen, doch dabei zu sein. Ich wollte sein Gesicht sehen, wenn der Richter endgültig mir das Erbe zusprach.
Wir verbrachten das Wochenende mit Museumsbesuchen und langen Spaziergängen in Berlin. Salman kannte sich inzwischen gut aus und freute sich, wenn er mich damit überraschte, wie die Plätze und Gebäude hießen und welche wichtigen Einrichtungen wir noch besichtigen mussten. Er war unermüdlich und wissbegierig, wenn es um geschichtliche Hintergründe ging.
Wir fuhren häufig mit der U-Bahn, weil Salman die Busse verweigerte. Als wir am Alexanderplatz einstiegen, kam uns auf dem Gegengleis eine Bahn entgegen, in der ich plötzlich Marek stehen sah und für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich unsere Blicke. Er sah abgemagert aus und sein Haar war struppig. Trotzdem genügte der eine Blick in seine Augen, um mir Gewissheit zu verschaffen. Er war es. Um meinen Schrecken nicht zu zeigen, blieb ich wie angewurzelt stehen und blickte weiterhin in die Richtung, in die die Bahn verschwunden war. Erst als ich mich wieder gefasst hatte, drehte ich mich zu Salman um, der mich anlächelte.
Marek war also wieder in Berlin und hatte sich nicht bei mir gemeldet. Ich hatte noch immer nicht begriffen, warum unsere Beziehung in die Brüche gegangen war. Den Stich, den ich soeben in meinem Herzen verspürt hatte, als ich in seine Augen blickte, hatte ein vages Gefühl hinterlassen, das mich beunruhigte. Ich war jetzt eine verheiratete Frau und die Empfindungen, die mich bei seinem Anblick gepackt hatten, erschienen mir abwegig. Warum er so plötzlich aus meinem Leben verschwunden war, war noch immer ein Rätsel. Aber ich wusste, dass Ivan hinter der Sache steckte, doch ich würde ihn nicht mehr danach fragen, das war klar. Vielleicht würde ich irgendwann dieses Geheimnis erfahren. Wir mussten wieder aussteigen und ich war froh, als wir im Museum waren und ich Salman erklären konnte, welche Bewandtnis es mit der Stasi hatte. Dass ein Teil meiner Vorfahren mit dieser üblen Truppe Geschäfte gemacht hatte und auch ich durch meine Herkunft indirekt damit verbunden war, konnte ich Salman nicht erklären. Diese Tatsache musste ich selbst erst noch verkraften.
Onkel Jacob, oder besser: mein Vater, hatte in seinen Hotels hohe Staatsbeamte bewirtet und meine Mutter hatte hin und wieder durchblicken lassen, dass die Hotels auch Orte waren, wo Staatsgäste bespitzelt wurden und mein Onkel dadurch gut verdient hatte. Bisher hatten mich solche Erzählungen nicht weiter interessiert und wenn meine Eltern darüber diskutierten, war ich immer gelangweilt daneben gesessen. Durch meine Erbschaft und die Verbindung meiner Mutter zu Onkel Jacob hatte sich das grundlegend geändert. So bald wie möglich würde ich Jacobs Schreibtisch untersuchen und alle persönlichen Unterlagen studieren.
Der Gerichtstermin mit Ivan war für den nächsten Tag angesetzt und meine Mutter wollte mit mir die Einzelheiten noch einmal besprechen. Nachdem ich es vermeiden wollte,
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