Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
dafür zu schaffen, dass die weniger gut ausgerüsteten und ausgebildeten Verbände ins Krisengebiet kommen können. Bei möglichst geringen eigenen Verlusten schaffen sie die Grundlage für jene friedensstabilisierenden Operationen, die im Anschluss den sogenannten Stabilisierungskräften obliegen. Bei Einsätzen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung können diese beiden Truppenteile jedoch auch gleichzeitig operieren.
Die Stabilisierungskräfte:
Man kann sie, wie im Augenblick in Afghanistan, auch als Besatzungstruppen bezeichnen, denn sie setzen irgendwo auf der Welt deutsche Interessen längerfristig gegen dort existierende Widerstände durch. Sie umfassen 70 000 Soldaten, von denen 14 000 in bis zu fünf verschiedenen Weltgegenden zeitlich begrenzt einsetzbar sind. Im Gegensatz zu den Eingreifkräften sind sie für friedensstabilisierende Einsätze über einen längeren Zeitraum, aber nur in Ausnahmefällen für direkte Kriegshandlungen und für den Kampf mit Waffengewalt zuständig. Auch sie können im Verbund multinationaler Streitkräfte tätig werden und so gemeinsame Operationen durchführen.
Ihre Einsätze bergen unter Umständen ein Eskalationsrisiko bis hin zum Kampf gegen militärisch organisierte Gegner, seien dies nun lediglich unorganisierte lokale Aufständische oder asymmetrisch kämpfende Einzelgruppen wie beispielsweise die Taliban in Afghanistan, die sich nach dem Vorbild der bewaffneten Guerilla organisiert haben. Mit Unterstützung von schweren Waffen und integrierten Truppenteilen mit gepanzerten Fahrzeugen sollen sie bei jedem aufkeimenden Konflikt oder Widerstand schnell die Ruhe im gesamten Einsatzgebiet wiederherstellen.
Im Rahmen ihrer militärischen Operationen obliegt ihnen auch der Aufbau gesellschaftlicher Strukturen im Konfliktgebiet bis hin zur dauerhaften Etablierung polizeilicher, geheimdienstlicher und militärischer Institutionen im Einsatzland. Ihr Einsatz endet, wenn die lokalen Machthaber über einen neuen verlässlichen Sicherheitsapparat verfügen, der die Aufgaben der Stabilisierungskräfte übernehmen kann.
Die Unterstützungskräfte:
Bestehend aus 147 000 Soldaten, stellen sie das Alltagsgeschäft und die Grundversorgung der Bundeswehr sicher. Man könnte sie als Logistikabteilung oder als back office der Truppe bezeichnen, denn sie sind zuständig für Dinge wie Nachrichtengewinnung, Sanitätsdienst, Kampfmittelabwehr, Brandschutz. So unterstützen sie die Eingreif- und Stabilisierungskräfte bei der Einsatzvorbereitung und während des Einsatzes.
So weit das Weißbuch 2006 zur inneren Struktur und Truppenstärke der Bundeswehr. Auffällig ist, wie häufig der strategische Wandel formuliert wird: von einer Armee zur Verteidigung der Heimat bei einer Bedrohung von außen zu einer international operierenden Eingreiftruppe zur Durchsetzung deutscher Interessen. Hier zum Abschluss einige Zitate, die diese grundlegend neue Strategie unverhohlen zum Thema machen: »Sicherheitsvorsorge kann daher am wirksamsten durch Frühwarnung und präventives Handeln gewährleistet werden und muss dabei das gesamte sicherheitspolitische Instrumentarium einbeziehen.« Auch folgende Formulierungen im Weißbuch 2006 gehen in eine solche Richtung und legen erstmals dezidiert jene Grundhaltung offen, die Jahre später, im Mai 2010, Bundespräsident Horst Köhler vorgeworfen wurde – ganz zu Unrecht, denn er wiederholte nur, was längst publizierter Bestandteil der neuen Bundeswehrstrategie war.
Im Weißbuch 2006 lautet die Formulierung: »Internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus sind auf absehbare Zeit die wahrscheinlicheren Aufgaben der Bundeswehr. Sie sind Struktur bestimmend.«
Horst Köhler hatte in jenem Interview gesagt: »Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen, negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.«
Was also sollte so neu und so unerhört sein am Statement des ehemaligen Bundespräsidenten, selbst falls er es
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