Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
allen Fragen zu konsultierenden Partners angestrebt – und ein solcher Partner ist man eben nur als leistungsfähige Rüstungsnation. Mit dem Begriff der »Nationalen Konsolidierung«, der seit Jahren immer wieder in der Presse auftaucht, wenn von einer Weiterentwicklung der NATO berichtet wird, ist also nichts anderes gemeint, als dass alle politischen und militärischen Anstrengungen sich darauf zu richten haben, bevorzugt die deutsche Rüstungsindustrie zu stärken, – sei es durch die vermehrte Vergabe von Aufträgen oder den Einsatz von Material und Waffen aus ihrer Produktion. Nur eine mit vollen Auftragsbüchern stark engagierte deutsche Rüstungsindustrie wird in der Lage sein, auch den Aufbau einer von Deutschland dominierten europäischen Rüstungsindustrie zu gewährleisten.
Indirekt versucht man dadurch, die Machtposition der USA innerhalb der NATO zu schwächen und Europa zu einer Vormachtstellung im transatlantischen Verbund zu verhelfen. Von der NATO als einem Bündnis gleichwertiger Nationen ist also – wie schon bei den Vereinten Nationen – außer bei Festtagsansprachen keine Rede mehr. Es geht um Dominanz, um Vormachtstellung, um Definitionsgewalt.
Gegenwind bei diesen Zielen erhielten die diversen deutschen Regierungen, was den ständigen Sitz im Sicherheitsrat der UNO anbelangt, allenfalls von Dritte-Welt-Ländern, die eine solche Entwicklung bisher stets zu verhindern wussten – und es bleibt abzuwarten, mit welchen Gegenmitteln die USA auf die Reformbestrebungen Deutschlands reagieren werden, wenn es um die NATO geht.
Auffällig ist jedoch, dass es über all diese Themen keine öffentliche Debatte gibt, dass darüber auch die Medien in seltener Einigkeit schweigen und dass selbst das Parlament weder unter seinen demokratisch gewählten Abgeordneten noch im Dialog mit dem Bürger diese Punkte, die doch von zentraler Wichtigkeit sind, zum Thema macht. Nicht einmal die Opposition meldet sich zu diesen verfassungsrechtlich fragwürdigen Punkten zu Wort. Es liegt nahe, dass hier ein heimlicher Konsens der »politischen Klasse«, jener Berliner Parallelgesellschaft vorliegt, die oft fern von demokratischen Grundsätzen die Geschicke des Landes steuert: Die Bundeswehr, als Armee zur Landesverteidigung gegründet, wird von allen politischen Lagern als Mittel zur Durchsetzung bestimmter Zwecke betrachtet, als internationale Multifunktionswaffe. Wenn das aber die Sichtweise der Politik auf unsere Streitkräfte ist, dann stehen wir nicht einer tiefen Legitimitätskrise der Bundeswehr gegenüber – wir befinden uns mittendrin.
2.4 Im Widerstreit zwischen Grundgesetz und Scharia
In jedem Krieg – und um nichts anderes handelt es sich bei den augenblicklichen Auslandseinsätzen der Bundeswehr, das wird auf den folgenden Seiten deutlich werden –, selbst bei einem Bürgerkrieg im Inland, stehen sich zwei unterschiedliche Rechtssysteme unversöhnlich gegenüber. Nur deswegen gibt es Krieg, weil die eine Seite die Rechtsauffassungen der anderen Seite als nicht legitim, als unmoralisch, als menschenverachtend oder als bedrohlich gewaltsam aus der Welt schaffen möchte. Sind diese Rechtsauffassungen noch mit kulturellen, religiösen oder sozialen Differenzen der involvierten Konfliktparteien unterlegt, so treten Unterschiede augenfälliger zutage, und Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung »wir gegen sie« lässt sich leichter legitimieren. Je weiter die Staatsgebiete kriegführender Nationen geografisch voneinander entfernt sind, desto stärker fallen die genannten Differenzen ins Gewicht.
Im Folgenden dient Afghanistan – und nicht die anderen augenblicklichen Einsatzorte der Bundeswehr (Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Horn von Afrika, Palästina) – als Beispiel für das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Rechtssysteme und dessen Folgen, weil Deutschland dort mit dem zahlenmäßig größten Kontingent engagiert ist. Außerdem lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse verallgemeinern, da an fast allen Einsatzorten der Islam den dortigen Rechtsnormen zugrunde liegt.
Unter welcher Rechtsnorm kämpfen die Soldaten der Bundeswehr also in Afghanistan? Grundsätzlich unterstehen sie deutschem Recht. Sobald sie jedoch afghanischen Boden betreten, haben sie auch das dortige Rechtssystem zu respektieren – sollte man annehmen, geklärt ist das aber keineswegs. Die Überlagerung verschiedener Rechtssysteme, die Fragen, welches als vorrangig und welches als nachrangig zu betrachten ist, in
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