Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
Vergangenheit. Auch in diesem Bereich soll es in der Zukunft grundlegende Veränderungen geben. Gerade das Thema Fehlinvestitionen in fragwürdige Waffensysteme wird einer der Grundbestandteile dieses Buches sein, dazu also später. Die Kommission legt sich in diesem Punkt eindeutig fest: Bei der Beschaffung von Waffen und Material sollen künftig, wo immer möglich und verantwortbar, Produkte »von der Stange« gekauft werden, anstatt bei der Industrie neue Entwicklungen in Auftrag zu geben. Die Kommission und auch der Verteidigungsminister wissen, auf welch dünnes Eis sie sich mit dieser Empfehlung begeben, und sie rufen wohl genau deswegen die Bundesregierung dazu auf, die Richtlinien für Rüstungsexporte zu lockern.
Die deutsche Rüstungsindustrie sei mit der Belieferung einer massiv verkleinerten Bundeswehr nicht mehr ausgelastet und so zunehmend vom Export abhängig. Nach dem Entgegenkommen gegenüber den NATO -Partnern, was die Zahl permanent einsatzfähiger Kriegstruppen angeht, folgt hier das Entgegenkommen in Richtung Rüstungsindustrie. Für die Bundesregierung ist dies ein weiterer und konsequenter Schritt, ihre gesamte Politik ökonomischen Interessen unterzuordnen.
Nach Erkenntnissen der Kommission wird der Umbau der Bundeswehr zwar Einsparungen in beträchtlicher Höhe ergeben, aber diese Veränderungen kosten wiederum Geld. Ein Sparvolumen von 8,3 Milliarden Euro ist mit dem vorgeschlagenen »Modell 4« eingestandenermaßen allenfalls langfristig zu erzielen. Aus Unternehmersicht ist die Bundeswehr sowieso bereits heute ein Fall für den Konkursrichter: »Die Bundeswehr ist total unterfinanziert. Wäre sie ein Unternehmen, wäre sie pleite« (Unternehmer und Kommissionsmitglied Hans-Heinrich Driftmann).
Die Ausrichtung der Bundeswehr nach Modellen aus der Privatwirtschaft ist zwar ein schönes Planspiel, das jedoch immer einen gravierenden Makel trägt: Keines dieser Modelle wird funktionieren, da die Kostentreiber bei der Bundeswehr andere sind als in der Privatwirtschaft und diese zusätzlich einer multikausalen Bewertung, keiner rein ökonomischen, unterliegen.
Die Begründung und Rechtfertigung von Militärpolitik mit Verweisen auf die Privatwirtschaft ist darüber hinaus mit einem doppelten Makel behaftet: Sämtliche Einsätze der Bundeswehr dürfen nur einem einzigen Ziel dienen – der Verteidigung bei einem direkten Angriff auf das Staatsgebiet oder auf seine Staatsbürger –, keine andere Einsatzart lässt sich mit dem Grundgesetz vereinbaren. Und nach der Charta der Vereinten Nationen wäre ein Einsatz, der nicht der bereits genannten Verteidigung dient, obendrein völkerrechtlich untersagt.
Sonst würde es ja auch nicht Verteidigungsministerium heißen, sondern Kriegsministerium oder gar Ministerium für Wirtschaftskriege. Dazu Ausführliches im folgenden Kapitel.
2. Die Bundeswehr als internationaleInterventionsarmee
Werden Sicherheit und Freiheit verteidigt – oder geht es um ganz andere Dinge?
2.1 Die neue Militärdoktrin
Nicht weniger als zwölf Jahre hat es gedauert, bis eine Bundesregierung 2006 den Entwurf für ein neues Weißbuch verabschiedete. Zwölf Jahre für ein militärisches und sicherheitspolitisches Grundlagendokument, das die strategische Ausrichtung der Bundeswehr samt ihrer personellen, finanziellen und materiellen Ausstattung festlegt.
Im Bereich Truppenstärke war vorgesehen, die Bundeswehr in drei große Kontingente aufzuteilen, aus denen wiederum zur Durchführung von Kriegseinsätzen sogenannte Eingreifkräfte als kleinste, aber zugleich schlagkräftigste Verbände gebildet werden sollten.
Die Eingreifkräfte:
Etwa 35 000 Soldaten umfassend, rekrutiert aus Heer, Luftwaffe und Marine, sind sie vorwiegend zur Krisenintervention vorgesehen und stellen darüber hinaus den deutschen Beitrag zu jenen Eingreiftruppen, die beispielsweise unter dem Kommando der NATO zum Einsatz kommen. In nationaler Verantwortung führen sie lokale Rettungs- und Evakuierungsoperationen durch.
Die Eingreifkräfte besitzen vorrangig die Fähigkeit und die Mittel zur Durchsetzung friedenserzwingender Maßnahmen gegen einen vorwiegend militärisch organisierten Gegner. Sie sollen möglichst rasch einsetzbar sein, ihre Soldaten sind bestens ausgebildet, ihre Ausstattung ist besser als die der anderen beiden Kräftekategorien.
Die Eingreifkräfte gehen als erste ins Zentrum des Konfliktgebietes, wo auch immer, und nehmen den Kampf mit dem Gegner auf, um die Voraussetzungen
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