Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
siehe Kapitel 3, längst für andere Dinge ausgegeben, verplant, gebunden oder zugesagt. Es ist also zu erwarten, dass die Bundeswehr ihrer Fürsorgeverpflichtung gegenüber den Soldaten im Einsatz auf absehbare Zeit nicht gerecht werden wird.
Und wie ist es um die Lage des Soldaten nach seiner Dienstzeit bestellt? Niemand wird verwundert sein, dass die
Fürsorgemängel nach dem Einsatz
weitergehen. Im Fürsorgegesetz ist klar formuliert, dass die Verpflichtung dazu nicht einige Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis endet. Sie besteht sogar noch dreißig oder vierzig Jahre später. Nur: Es wird nicht danach gehandelt. Ein seit Jahrzehnten heftig diskutiertes Beispiel ist die sogenannte
Radarstrahlenproblematik .
Von Mitte der fünfziger bis Mitte der achtziger Jahre wurden Soldaten der Bundeswehr aufgrund fehlender Schutzmechanismen durch die von Radargeräten ausgehende Strahlung im Dienst verstrahlt, mit zum Teil lebensbedrohlichen Folgen für ihre Gesundheit. Bis sich die Folgen der Verstrahlung zeigen, dauert es oft länger als bei PTBS . Viele Verstrahlte leben inzwischen nicht mehr, und die Überlebenden kämpfen oft noch heute vor Gericht um die Anerkennung ihrer Schadenersatzansprüche. Obwohl die Krankheit inzwischen medizinisch anerkannt ist, bleibt in vielen Fällen strittig, welche Krankheiten Folgen der Verstrahlung im Dienst und damit schadenersatzpflichtig sind.
Nun sollte in einem Land wie Deutschland, in dem von der Bürokratie Recht und Gesetz in hohem Maße respektiert werden, eigentlich davon auszugehen sein, dass Gelder für eine Entschädigungszahlung der Opfer zur Verfügung stehen. Dies scheint aber nicht der Fall, denn sonst würden sich nicht noch immer Geschädigte an den Wehrbeauftragten wenden müssen, die selbst im Jahr 2009, als der vorletzte Bericht verfasst wurde, keine Einigung mit den zuständigen Stellen erreicht hatten.
»Ein Radarstrahlenbetroffener hatte sich im Juni 2000 an das Amt des Wehrbeauftragten gewandt. Nach Ablehnung seines Antrages auf eine Entschädigungsleistung durch die Bundeswehrverwaltung klagte er vor dem Verwaltungsgericht. Seine Klage hatte vor dem Oberverwaltungsgericht Erfolg. Der Bund wurde verpflichtet, die Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen und Entschädigung zu leisten. Trotz der Anregung des Wehrbeauftragten, das Verfahren nach neun Jahren im Interesse des Betroffenen zu beenden, legte das Ministerium wegen der möglichen Präzedenzwirkung noch zusätzliche Rechtsmittel ein. Das Verhalten ist für den Wehrbeauftragten im Hinblick auf das persönliche Schicksal des Betroffenen nicht nachvollziehbar. Er appelliert in den wenigen noch offenen Fällen, die Betroffenen endlich angemessen zu entschädigen.« Unterschwellig bekommt man den Eindruck, dass solche Verfahren von der Bundeswehr in die Länge gezogen werden, bis es die »wenigen noch offenen Fälle« nicht mehr gibt. Ein Spiel auf Zeit – und auf Kosten der Fürsorgepflicht. Nur: Wer wagt es, mit welcher Aussicht auf Erfolg, diese Fürsorgepflicht vor Gericht einzuklagen, die Verantwortlichen bei ihrer Verantwortung zu packen und so einem Gesetz zu seiner Durchsetzung zu verhelfen? Sollte es in einer Demokratie nicht selbstverständlich sein, dass der Staat seiner Fürsorgepflicht nachkommt?
Wenn also noch nicht einmal der Staat selbst für die Anwendung eines von ihm erlassenen Gesetzes wie dem Fürsorgegesetz den nötigen Verfolgungsdruck ausübt, dann hat der Soldat zumindest als Privatmann die Möglichkeit, für Krisenlagen Versicherungen abzuschließen, um im Ernstfall an Entschädigungsleistungen zu kommen. Aber es geht hier gerade nicht um private Lebens-, Berufsunfähigkeits- oder Unfallversicherungen, die kann jeder Soldat – natürlich aus eigener Kasse – jederzeit abschließen. Die hier interessierende Frage lautet: Hat der Staat dafür gesorgt? Denn es gehört zur Fürsorgepflicht, dass Soldaten und ihre Familien versorgt sind. Und sind die Versicherungen in solchen Fällen überhaupt bereit zu zahlen? Auf welche Hindernisse ein Soldat stößt, der sich mit dieser
Versicherungsproblematik
auseinandersetzen muss, soll ein Beispiel aus dem Bereich der Fallschirmjäger deutlich machen. Es ist übertragbar auf viele andere Schadensfälle, die bei der Ausübung des Militärdienstes auftreten. Vor allem beim Landen und beim nachfolgenden Marsch zum Zielgebiet lernt jeder Fallschirmjäger gutes Schuhwerk zu schätzen. Da (auch) in diesem
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