Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
Punkt die Ausstattung mit den Mitteln der Bundeswehr zu wünschen übrig lässt (um es milde auszudrücken), haben sich viele Soldaten selbst vernünftige Stiefel angeschafft.
Zu diesem Punkt fällt mir ein selbst erlebtes Beispiel ein, das sich während eines Einsatzes meiner alten Einheit ereignet hat. Fallschirmspringen war ein Schwerpunkt unseres Einsatzszenarios. Wir mussten oft aus großer Höhe abspringen, irgendwo landen und dann lange Strecken zu unserem Zielobjekt marschieren, wo unser Auftrag erfüllt werden sollte. Eines der wichtigsten Kleidungsstücke war also ausgezeichnetes Schuhwerk, damit wir ohne Fußverletzungen ausdauernd laufen konnten. Bei besagtem Einsatz war wieder einmal vorauszusehen, dass wir nach der Landung einen längeren Fußmarsch vor uns haben würden, also trugen fast alle von uns die privat gekauften Stiefel. Nach dem Absprung, als sich die Schirme über uns geöffnet hatten, spürten wir die erste Erleichterung jedes Fallschirmspringers: alles nach Plan. Im Endanflug auf den Landeplatz geschah es dann: Alle mussten deutlich mehr arbeiten, da es in Bodennähe windiger war als erwartet. Einer meiner Kameraden bekam bei der Landung Schwierigkeiten mit dem Wind, und so kam es zum Schlimmsten. Er schlug gegen ein sehr stabiles Hindernis und verletzte sich dabei schwer, sehr schwer. Zwar wurde er sofort medizinisch versorgt, aber man konnte nichts mehr für ihn tun, und er starb kurze Zeit später.
Das Entsetzen bei uns allen brauche ich nicht zu beschreiben, aber es begann sofort die Fehlersuche. Er war ein sehr erfahrener Fallschirmspringer gewesen, und auch bei seinem letzten Sprung gab es nichts, was auf mangelnde Professionalität hätte schließen lassen. Ein wie auch immer geartetes Selbstverschulden oder auch nur eine Mitschuld war also auszuschließen. So kamen wir zum Punkt »dienstlich gelieferte Ausrüstung und Bekleidung« … Jeder ahnt nun schon, was folgt: Der Soldat ist nur versichert, solange er genau diese trägt. Was aber immer noch nicht sicherstellt, dass der Staat Entschädigung bezahlt, denn die Dienstbekleidung ist nur einer der Punkte auf einer langen Liste von Voraussetzungen, die zur Gänze erfüllt sein müssen und mit der immer wieder versucht wird, den Soldaten eine Mitschuld bei einem Vorfall nachzuweisen. Ist auch nur einer der Punkte auf dieser Liste nicht den Vorschriften entsprechend, so erfolgt keine Zahlung – und es findet sich fast immer ein Punkt, mit dem die Kosten der Entschädigung vermieden werden können. Jeder Soldat plagt sich also vorschriftsgetreu, aber im Widerspruch zu seinen eigenen Sicherheitsinteressen mit veralteter und unzweckmäßiger Ausrüstung herum, damit für eine Entschädigung alle Paragrafen erfüllt sind, falls ihm in Ausübung seines Dienstes etwas zustoßen sollte. Es wird nicht etwa die jedem sofort einleuchtende Frage gestellt: Hätte der Unfall vermieden werden können, wenn der Soldat die Bundeswehrschuhe getragen hätte? Die Antwort darauf würde in wahrscheinlich 95 Prozent aller Fälle »Nein« lauten und so für die Verweigerung einer Entschädigung nicht mehr als Begründung taugen. Aber es geht eben nicht um Vernunft, sondern um Vermeidung von Kosten durch Nachweis einer Schuld beim sowieso schon Geschädigten.
Solche Fälle waren übrigens der Anlass, dass Soldaten zusätzlich bei einem zivilen Versicherungsunternehmen eine Versicherung abgeschlossen haben. Sie kamen vom Regen in die Traufe: Vor der Unterschrift unter den Versicherungsvertrag wurde ihnen in Länge und Breite erklärt, in welchen Fällen die Versicherung greifen würde. Nach der Unterschrift wurden sie auf das Kleingedruckte hingewiesen und mussten feststellen, dass der Versicherungsschutz Krisenregionen nicht abdeckt. Diese sogenannte »Kriegsklausel« gibt es seit Jahrzehnten in allen Lebens- und Unfallversicherungen. In ihr wird klar definiert, dass der Versicherte bei einem Aufenthalt in Gebieten mit unmittelbarer oder auch nur mittelbarer Gefahr von kriegs- oder bürgerkriegsähnlichen Ereignissen seinen Versicherungsschutz verliert.
Der Wehrbeauftragte zu dieser Problematik: »Ein Versicherungsschutz für das ›aktive Kriegsrisiko‹, das heißt die aktive Teilnahme an Kampfhandlungen, ist bislang – wenn überhaupt – nur in begrenztem Umfang und gegen hohe Prämien zu erreichen.«
In letzter Konsequenz bedeuten diese Fakten: Jeder Soldat kann sich versichern, wie er will, bei wem er will, zu welchem Preis auch immer und
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