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Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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übersät mit ihren toten Leibern. Somit schleiften die überlebenden Sarazenen die Toten vor die Tore hinaus und schichteten sie zu Stößen auf so hoch wie Häuser. Keiner hat jemals ein solches Abschlachten von Heiden gesehen oder je davon gehört, denn sie wurden auf Scheiterhaufen verbrannt, die Pyramiden glichen, und keiner außer Gott allein weiß, wie viele es waren.«
    Arnulf ließ sogleich nach der wichtigsten Reliquie fahnden, die er in Jerusalem wusste, dem Heiligen Kreuz, das im Jahr 325 von der heiligen Helena aufgefunden worden war. Die Männer des normannischen Kaplans waren erfolgreich und stießen auf einen syrischen Christen, dessen Familie die Kreuzreliquie während der Zeit der islamischen Herrschaft gehütet hatte. Unter der Folter wurde er gezwungen, das Versteck zu verraten, Chronisten berichten, dass man dem Syrer brennende Holzspäne unter die Nägel trieb und ihm sämtliche Knochen zerschlug. Ein willkommener Nebeneffekt der Kreuzauffindung dürfte es für Arnulf gewesen sein, dass er damit seine Zweifel an der von einigen Kreuzrittern nach wie vor verehrten Lanzenreliquie und sein Verhalten gegenüber ihrem Entdecker vergessen machen konnte.
    Den kriegerischen Abschluss des Ersten Kreuzzuges bildete die Schlacht von Askalon, bei der die ägyptischen Fatimiden besiegt wurden. Wenn es um Ägypter ging, hatte die geistliche Propaganda leichtes Spiel, es genügte der Verweis auf die »harte Hand des Herrn«, die dieser schon einmal gegen sie erhoben hatte, als die Israeliten Moses durchs Rote Meer gefolgt waren. Mit dem gerade aufgefundenen Kreuz Christi in der Vorhut stießen die Ritter auf das fatimidische Herr, das Jerusalem zu Hilfe kommen wollte. Gottfried von Bouillon nutzte die Gunst des Überraschungsmoments aus, konnte die Muslime in die Flucht schlagen und deren Feldlager erobern. Die Stadt Askalon selbst blieb jedoch in der Hand der Fatimiden. Gottfried wurde als »Advocatus sancti sepulchri« (»Verteidiger des Heiligen Grabes«) Herr des neuen Königreichs Jerusalem, den Titel eines Königs lehnte er ab: Er fand es unanständig, dass in der Stadt, in der Christus die Dornenkrone getragen hatte, ein anderer eine Königskrone tragen sollte. Seine Nachfolger, zunächst sein Bruder Balduin, hegten solche frommen Bedenken nicht mehr. Und obwohl der Kreuzfahrerstaat kaum zweihundert Jahre bestand, wurde der klangvolle Titel des Königs von Jerusalem bis ins 20 . Jahrhundert als Anspruchstitel verwendet, zuletzt von Karl I ., dem von 1916 bis 1918 amtierenden letzten Herrscher Österreich-Ungarns, der 2005 von Papst Johannes Paul II . seliggesprochen wurde.
     
    Arnulf von Chocques beanspruchte für sich die Position und Würde eines Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, hatte doch sein »Kollege« Peter von Narbonne schon den Titel eines Lateinischen Patriarchen von Antiochia erhalten und dort den orthodoxen Patriarchen verdrängt. Die nötige Legitimation für das hohe Amt hatte Arnulf sich durch das »Auffinden« der Kreuzreliquie erworben, womit er zunächst alle Konkurrenten ausstechen konnte. Als erste Amtshandlung verbot er den orthodoxen und syrischen Christen das Betreten der Grabeskirche. Der Papst in Rom, der diese phänomenalen Verdienste des normannischen Hofkaplans ja noch nicht kennen konnte, hatte freilich in der Zwischenzeit einen Italiener als neuen päpstlichen Legaten gesandt, Erzbischof Dagobert von Pisa, und diesen zum Lateinischen Patriarchen ernannt. So musste Arnulf sich etliche Jahre mit der minderen Würde eines Erzdiakones zufriedengeben. Peinlicherweise wurde dann noch ruchbar, dass Arnulf niemals zum Priester, ja nicht einmal zum Diakon geweiht worden war. Trotzdem erhielt er eine zweite Chance. Dagobert von Pisa wurde 1102 seines Amtes enthoben, man warf ihm vor, dass er sich 1099 an der Plünderung der christlichen (!) ionischen Inseln beteiligt und es mit der Verwaltung der Bistumskasse nicht sehr ernst genommen hatte. Endlich trug Arnulfs Ehrgeiz Früchte: 1112 wurde er offiziell Patriarch von Jerusalem. Schon bald nahm er sich eine Muslimin zur Geliebten, Rom war weit, niemand störte sich daran. Die Geistlichen, die vom Papst oder weltlichen Herren zur seelsorgerischen Begleitung der bewaffneten Wallfahrt ausgesucht worden waren, folgten sämtlich dem Motto, dass der fromme Zweck jedes Mittel heilige; Heuchelei und das Zurechtbiegen aller moralischen Maßstäbe hinsichtlich ihrer eigenen Handlungen waren üblich. Auch vor frommem Betrug, der

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