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Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Anderl-Verehrung ausdrücklich verbieten. Gleichwohl pilgern bis heute ultrakonservative katholische Kreise zum Judenstein nach Rinn.
     
     

Vom Antijudaismus zum modernen Antisemitismus
     
    Der Kult des Anderl von Rinn kann als eine Art Angelpunkt betrachtet werden: Hier verbindet sich Ende des 19 . Jahrhunderts der aus uralten theologischen Gedanken im frühen Mittelalter geformte, durch die Kirche bis ins 20 . Jahrhundert transportierte Antijudaismus mit modernen Ideen, wird zu einem direkten Vorläufer des Antisemitismus und begünstigt letztendlich die Entwicklung, die zur Shoah führte. Es war der Wiener Pfarrer Joseph Deckert, der die Legende des Anderl von Rinn, erweitert um einige ähnliche Vorgänge, 1893 unter dem Titel Vier Tiroler Kinder, Opfer des chassidischen Fanatismus. Urkundlich dargestellt erneut publizierte. Er behauptete, mit seinem Buch eine wissenschaftliche Fundierung seiner Darstellung vorzulegen – was gar nicht möglich war, gab (und gibt) es doch keine authentische Urkunden über den Tod des Anderl von Rinn im Jahr 1462 . Pfarrer Deckert verfasste noch etliche antisemitische Werke, aber bedeutsamer als seine Schriftstellerei ist die Rolle, die er damit in der Politik spielte. Seine antisemitische Publizistik bereitete den Boden für die von vielen niederen Geistlichen unterstützte »christlichsoziale Bewegung«, deren theoretische Grundlage der Wiener Professor für Moraltheologie Franz Martin Schindler formulierte. Karl Lueger, der spätere Wiener Oberbürgermeister, gründete aus der Bewegung 1893 die Christlichsoziale Partei, die anfangs sogar unter dem Namen »Antisemiten« firmierte. Das Parteiprogramm sah die traditionell angenommene »jüdische Verworfenheit« jetzt in Gestalt skrupelloser jüdischer Bankiers, Großhändler und Fabrikanten verwirklicht, die die anständigen christlichen Handwerker, Taglöhner und Bauern betrogen und um ihre Existenz brachten. Dass Lueger den Antisemitismus vornehmlich als Agitationsmittel einsetzte, wie er später selbst sagte, und damit einigen Erfolg hatte, ist bezeichnend dafür, wie rasch »die Juden« wieder in die Rolle der Sündenböcke verwiesen werden konnten – dieses Mal hinsichtlich der sozialen Missstände.
    1892 war in Passau das Werk eines Geistlichen erschienen, das aus dem gleichen theoretischen Umfeld stammt. Der Autor argumentiert zwar gegen den rassentheoretisch begründeten Antisemitismus, erhebt aber andererseits die Forderung, den »unsittlich-heidnischen Erwerbstrieb« durch eine Besinnung auf christliche Lebensgrundsätze zu überwinden. Das Buch breitet auf neunzig Seiten reichlich Beispiele für wirtschaftliches Fehlverhalten, Betrug und Wucher aus, die alle von Juden zu verantworten seien. Die seiner Auffassung nach typisch jüdische Haltung charakterisiert der Autor so: »Der jüdische Erwerb ist charakterisiert durch zwei Erscheinungen: 1 . Ohne produktive Tätigkeit durch Ausbeutung der Arbeit Anderer, 2 . durch Spiel und Spekulation auf die Differenz der Werte zu Reichtum zu gelangen. Die christliche Auffassung ist bekanntlich gerade entgegengesetzt.« Und er wird noch deutlicher: »Mit kalter Berechnung wird das christliche Volk ausgebeutet. Aus den biblischen Begriffen des alten Testaments leiten die Juden ab, daß alle Nationen der Welt nur bestimmt seien, als Fußschemel für die Macht des auserwählten Volkes zu dienen. […] Das Judentum muß im Erwerbsleben die Schranken der christlichen Lehre anerkennen, oder, es wird sich mit Notwendigkeit ein Ausscheidungsprozeß dieses Volkes ergeben. Das Parasitentum im Erwerbsleben kann ebensowenig geduldet werden, wie die Parasiten im Naturleben.« Der Autor dieses Werks mit dem Titel Jüdisches Erwerbsleben hielt es für ratsam, unter dem Pseudonym »Robert Waldhausen« aufzutreten. Es handelte sich dabei um Georg Ratzinger ( 1844 – 1899 ), Kaplan in Landshut und Landtagsabgeordneter des Bayerischen Bauernbundes. Er hat den »Ausscheidungsprozess« nicht erlebt und auch nicht die Geburt seines Großneffen Joseph, des heutigen Papstes.
    Man kann weder Georg Ratzinger unterstellen, dass er die Shoah gewollt habe, noch dem heutigen Papst, dass er quasi familiär mit Antisemitismus infiziert sei. Aber dieses Beispiel zeigt in besonderer Weise, wie nahe der Kirche diese unselige antijüdische Tradition immer noch ist. Die Päpste haben sich bewegt; spätestens seit Johannes XXIII . ( 1958 – 1963 ) ist der Irrweg in der Beurteilung des Judentums erkannt und wurde

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