Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
großen Gewaltausbruch kam es im Vorfeld des Ersten Kreuzzuges. Die Prediger, die die Massen ins »Heilige Land« treiben sollten, stießen dabei auch kräftig in das judenfeindliche Horn. Die Scharen aus ungebildeten Bauern und armen Rittern, die sich im Jahr 1096 quasi als Vorhut des Kreuzzuges in Deutschland zusammenrotteten, waren davon so aufgehetzt, dass die Juden in Speyer, Worms, Mainz, Köln, Magdeburg, Regensburg und an anderen Orten zum ersten Mal ein Pogrom erlitten und viele von ihnen Geld, Gesundheit oder sogar das Leben lassen mussten. In Mainz allein gab es 600 Tote, einige tausend Opfer dürften es insgesamt gewesen sein. Freilich bestand damals für bedrängte Juden noch ein – freilich problematischer – Ausweg: die Taufe. Denn ein getaufter Jude wurde zum Christen, und damit endete die erklärte Feindschaft. Die religiösen Gefühle der Juden, die ihrer Religion treu bleiben wollten und für die eine Taufe unter Zwang eine Schmach darstellte, zählten nicht. Auch die Anführer des Ersten Kreuzzuges teilten diese antijüdische Einstellung: Gottfried von Bouillon wird das Zitat zugeschrieben, er wolle nicht die Heimat verlassen, »ohne das Blut seines Gottes an dem Blut Israels zu rächen«.
Hostienfrevel- und Ritualmordvorwürfe
Die ständige Wiederholung der antijüdischen Hetze in Predigten hielt die Vorurteile wach. Es entstanden immer ausgeschmücktere Legenden von Juden, die angeblich geweihte Hostien schändeten oder sogar christliche Kinder fingen, um sie in grauenhaften Ritualmorden umzubringen. Weitreichend diskriminierende Folgen hatte eine auf dem Vierten Laterankonzil ( 1215 ) beschlossene Vorschrift, die Juden das Tragen besonderer Hüte oder Abzeichen auferlegte. Sie wurden damit zu einer auch äußerlich klar ab- und ausgegrenzten Bevölkerungsgruppe, und Christen, die den Kontakt mit ihnen ohnehin beschränken sollten, konnten sich nicht mehr damit herausreden, sie hätten nicht gewusst, dass ihr Gegenüber Jude war. Im Laufe des Spätmittelalters mussten die Juden jederzeit damit rechnen, zum Sündenbock für unerklärliche Seuchen, Missernten und Teuerungen gemacht zu werden. Die Ausweisung unter Verlust des Vermögens war dann noch das Glimpflichste, was ihnen passieren konnte. Es gibt kaum eine jüdische Gemeinde in Mitteleuropa, die im späten Mittelalter nicht von Plünderung, Vertreibung oder Ermordung ihrer Mitglieder betroffen war. Viele der mittelalterlichen Synagogen wurden nach Ausweisung der ortsansässigen Juden abgebrochen, ihre Steine häufig zum Bau christlicher Kirchen verwendet. In vielen Städten findet man heute noch aus dem Spätmittelalter stammende Kirchen, meist der Muttergottes geweiht, die an der Stelle einer früheren Synagoge stehen. Das wohl bekannteste Beispiel ist die Frauenkirche in Nürnberg, die ab 1352 an dem Ort erbaut wurde, wo bis zum Pogrom des Jahres 1349 die Synagoge stand. Seit 1933 (!) eröffnet dort vom Dach der Vorhalle aus das »Christkind« den Christkindlesmarkt. Freilich wurden diese Verfolgungsmaßnahmen gegen Juden in aller Regel nicht von kirchlichen Stellen durchgeführt, dieser Vorwurf kann nicht erhoben werden. Teilweise versuchten Papst und Bischöfe sogar mit ausdrücklichen Anweisungen, solche Pogrome oder auch die Zwangstaufe jüdischer Kinder zu verhindern. Aber nie gab es eine Anweisung, das judenfeindliche Predigen einzustellen, oder gar eine theologische Revision der These vom jüdischen »Christusmord«. Jedenfalls nicht bis in die allerjüngste Zeit. Es bleibt der Vorwurf der geistlichen Legitimation solcher Verfolgungen, der geistigen Brandstiftung.
Denn die Legenden von Hostienschändungen und Kindermorden wurden von der Kirche durch die Einrichtung von Wallfahrten und mit »passenden« Heiligsprechungen noch kräftig popularisiert. In Deggendorf weihte man 1361 die neue »Kirche zum Heiligen Grab«, errichtet an der Stelle der früheren Synagoge. Gleichzeitig wurde die »Auffindung« angeblich von Juden geschändeter Hostien in einem Brunnen gefeiert. Die angebliche Hostienschändung war einige Jahre früher Anlass für die Enteignung und gewaltsame Vertreibung der ansässigen Juden gewesen. Es entwickelte sich eine florierende Wallfahrt, die »Deggendorfer Gnad«, zehntausende pilgerten jedes Jahr in der »Gnadenwoche« zu dem niederbayrischen Ort und gedachten des angeblichen Hostienfrevels. Dabei wurden dem gläubigen Volk Hostien in einer Monstranz gezeigt, die frisch aus der Bäckerei
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