Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
besonders perfide, ließ man doch die Angehörigen über das Schicksal der Verschleppten im Unklaren. Erst nach Ende der von den Generälen Videla und Viola geführten Militärdiktatur wurden grauenhafte Einzelheiten bekannt. So wurden viele Opfer mit dem Hubschrauber auf offene See geflogen und den Haien vorgeworfen, über 30 000 Menschen fielen dem Staatsterror zum Opfer.
    Öffentliche Proteste waren lebensgefährlich. Dennoch organisierten die Mütter vieler »Verschwundener« einen wöchentlichen Schweigemarsch auf dem Hauptplatz von Buenos Aires – daher ihre Benennung als »Madres de la Plaza de Mayo«. Die Vorsitzende dieser Vereinigung, Tati Almeyda, begrüßte das Urteil, das erst über 30 Jahre nach dem Verschwinden ihres eigenen Sohnes erging. »Die katholische Kirche war eine Komplizin«, sagte sie und verwies damit auf die aktive Verdunkelung der Straftaten des Priesters durch die Kirche. Nach dem Ende der Diktatur »verschwand« auch der Polizeikaplan. Es stellte sich heraus, dass er von seinem Bischof in eine abgelegene Gemeinde versetzt worden war. Nachdem dort die Gefahr einer Entdeckung wuchs, wurde er mit neuen Papieren ausgestattet und ging unter falschem Namen nach Chile, wo er als Gemeindepfarrer eingesetzt wurde. Erst vor wenigen Jahren machte ihn ein Journalist ausfindig und es konnte dem Geistlichen in Argentinien der Prozess gemacht werden. Das Urteil lautete auf lebenslänglich.
     
    Die argentinische Kirche hat die Ermittlungen gegen den Priester wie auch gegen andere Militär- und Polizeikapläne nicht unterstützt, und viele Prälaten halten ihn für das Opfer eines von marxistischen Kräften angezettelten Justizskandals. Nicht einmal die traurige Tatsache, dass die argentinischen Generäle auch dreißig Priester ermorden ließen, die sich gegen ihre Herrschaft gestellt hatten, stellte für die Kirche in Argentinien einen ausreichenden Grund dar, sich von der Junta eindeutig zu distanzieren. Es soll Gras über vieles wachsen, über Verstrickungen zwischen Kirche und argentinischer Oberschicht, die bis in die Zeit des Diktators Perón zurückreichen. Kardinal Jorge Mario Bergoglio, der seit 1998 Erzbischof von Buenos Aires und damit das Oberhaupt der Kirche von Argentinien ist, will an diese Dinge nicht rühren. Der Jesuit steht der geistlichen Bewegung Comunione e Liberazione (siehe Kapitel »Der fromme Klüngel«) nahe und nicht der Befreiungstheologie. Er hatte gute Chancen gehabt, 2005 zum Papst gewählt zu werden, aber es heißt, er habe sich zugunsten seines deutschen Kollegen Ratzinger zurückgezogen.
    Die Anfänge der sogenannten Theologie der Befreiung liegen in den 1950 er-Jahren. In Südamerika, und zuerst in den Großstädten Brasiliens, entstanden infolge der Landflucht der bettelarmen Landarbeiter riesige Slums, in denen nach wie vor hunderttausende von Menschen unter schlimmsten sozialen und hygienischen Bedingungen vegetieren. Es war der Erzbischof von Olinda und Recife, der 1999 verstorbene Dom Hélder Câmara, der sich dieser Armen annahm und lautstark für ihre Menschenrechte eintrat. Da es für die Seelsorge in den Slums nicht genug Geistliche gab, richtete er neue Priesterseminare ein, die direkt in die Armenviertel gebaut wurden. Câmara wollte Priester heranziehen, die die Armen aus ihrem traditionellen Fatalismus herausholten und sie stattdessen zur Verbesserung ihrer sozialen Situation anleiteten. Der Erzbischof erzielte Anerkennung für seine Bemühungen und gewann in großem Umfang Anhänger auch unter den südamerikanischen Bischöfen. Einer von ihnen, der 1973 zum Kardinal ernannte Paulo Evaristo Arns, hatte kurz nach seinem Amtsantritt als Erzbischof von São Paulo im Jahr 1970 den bischöflichen Palast verkauft und mit dem Geld Sozialstationen für Arme gebaut.
    Während des Zweiten Vatikanischen Konzils hatte die südamerikanische Bewegung schon einigen Einfluss gewonnen und ihre Ideen in der Konstitution Gaudium et Spes. Über die Kirche in der Welt von heute (»Freude und Hoffnung«) eingebracht. Im Jahr des Aufbruchs 1968 , auf der Sitzung des Rats der Lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín, gelang den Reformkräften die Durchsetzung ihrer Anliegen. Die theoretische Fundierung dieser Bewegung legte der Dominikanerpater Gustavo Gutiérrez mit seinem Buch Theologie der Befreiung von 1972 , das der neuen Richtung auch ihren Namen gab. Noch 1976 wurde ein weiterer Anhänger der Befreiungstheologie, Erzbischof Aloísio Lorscheider, zum Kardinal

Weitere Kostenlose Bücher