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Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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getragen habe, sei auf dem Mantel das Abbild der spanischen Marienstatue aus Guadalupe zu sehen gewesen. Der Kaplan des damals noch kleinen Heiligtums, Luis Laso de la Vega, brachte 1649 eine populäre Fassung der neuen Legende in der Indianersprache Nahuatl heraus, die sehr verbreitet war (nebenbei: Avocado, Schokolade und Tomate sind drei Nahuatl-Wörter, die jeder kennt), und schon zehn Jahre später waren die Einkünfte aus der Wallfahrt so bedeutend, dass der Kaplan zum Domkapitular befördert wurde. Der am Wallfahrtsort gezeigte »Tilma«, der Mantel mit dem Marienbild, von dem es heißt, es sei »nicht von Menschenhand geschaffen«, wurde zu einer sehr populären Ikone, überall in Südamerika wird das Bild reproduziert und ausgestellt.
    Aufgrund dieser beiden »literarischen Quellen« nahm die Figur des Juan Diego gewissermaßen Fleisch an, und seine Existenz als historische Person wurde den lateinamerikanischen Gläubigen zur allgemeinen Gewissheit. Juan Diego wurde wie ein Heiliger verehrt. Gut dreihundert Jahre später versuchte die Kirche, dieser »ungeordneten«, gewissermaßen anarchischen Verehrung eines nicht von der Kirche anerkannten Heiligen einen Rahmen zu geben. So wurde der legendäre Indio 1990 seliggesprochen und durfte nun mit dem Segen der Kirche im Erzbistum Mexiko-Stadt verehrt werden. Doch seine Anhänger forderten einen »richtigen«, weltweit gültigen Heiligen. Die Kirche, diesmal in Gestalt des zuständigen Erzbischofs Edward Nowak von der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungsprozesse des Vatikans, hatte schwere Bedenken. Nowak äußerte, man habe an der Existenz dieses Heiligen immer sehr gezweifelt. »Wir haben keine beweiskräftigen Dokumente, nur Indizien.« Das Verfahren der Heiligsprechung drohte ins Stocken zu geraten. Doch »wundersamerweise« tauchte 1995 ein bisher nicht gekanntes Dokument auf. Der Jesuitenpater Xavier Escalada präsentierte eine auf Tierhaut geschriebene und gemalte Urkunde, die aus dem Jahre 1548 stammen sollte. Und dieser Codex Escalada enthielt das, was zu beweisen war. Natürlich wurde die Echtheit des Codex von Wissenschaftlern, auch von profilierten katholischen Forschern wie Pater Stafford Poole, infrage gestellt, und selbst der Rektor der Basilika von Guadalupe, Guillermo Schulenburg Prado, erklärte, dass Juan Diego nur ein Mythos sei. Die Herkunft der überraschend aufgefundenen Urkunde blieb ungeklärt. Das alles spielte aber in Rom keine Rolle mehr, und am 31 . Juli 2002 verkündete Papst Johannes Paul II. der Weltkirche Juan Diego als neuen Heiligen, den ersten Heiligen indianischer Herkunft. Keine Frage, diese Entscheidung löste bei Millionen Lateinamerikanern Jubel aus. Die Kombination der Muttergottes in Indianergestalt und ihres demütigen Verehrers aus dem indianischen Volk wird vielleicht viele Südamerikaner indianischer Abstammung zur Identifikation mit dem Katholizismus führen. Aber nimmt die Kirche die indianische Kultur und Tradition damit ernst? Oder wird sich dieser Umgang mit ihr eines Tages rächen?
     
    Die Ordensleute, die im 16 . Jahrhundert als Beschützer der Indianer auftraten, wussten, was gut für sie war. Sie hielten die amerikanischen Ureinwohner für »dumm, wild, gefräßig, der Trunkenheit ergeben, träg und raubsüchtig«, so Pater Pedro Lozano in seiner 1745 verfassten Beschreibung einer Reise durch Südamerika. Erst das Christentum würde sie recht eigentlich zu Menschen machen und zur Glückseligkeit führen. Dazu genügte nicht, dass die Indianer nach der Taufe ihre alten religiösen Traditionen aufgaben. Sie mussten auch ihr gewohntes Leben vollständig nach den Regeln der Kirche neu ausrichten. Die bisher meist halb nomadisch lebenden Indianer wurden in Dörfern angesiedelt, die um eine Kirche und die Missionsstation herum gebaut wurden. Unter der Aufsicht der Patres hatten sie Ackerbau und Handwerke zu erlernen und diese Berufe regelmäßig auszuüben. Auch das Familienleben unterlag streng christlichen Vorstellungen. Es gab durchaus Ansätze zur Selbstverwaltung, doch die wirklich wichtigen Entscheidungen behielten sich die Geistlichen selbst vor.
    Wesentlich getragen wurde die Mission in Lateinamerika von dem noch recht jungen, erst 1540 vom Papst bestätigten Jesuitenorden. Die Jesuiten betonten von Beginn an ihren hohen intellektuellen Anspruch, und so ist es kein Wunder, dass sie das Werk der Missionierung auch theoretisch durchdrangen und in beinahe wissenschaftlicher Manier an der

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