Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
selbst und ihrer verdorbenen Instinkte [zu] erwehren« und müssten erst zur Arbeit, zur Würde, zu tauglichen Familienvätern, Bürgern und Christen erzogen werden, ehe man sie wirklich in die Freiheit entlassen könne.
In den Schulkolonien waren jeweils mehrere hundert Jugendliche kaserniert, die von Unteroffizieren und Ordensgeistlichen gedrillt wurden. Früh um halb sechs wurde mit einem Trompetenruf geweckt, dann ging es zum Beten, Exerzieren, Gebet, Ausbildung, Gebet, Körperpflege, Arbeit bis abends um halb neun, dann zur Nachtruhe, natürlich auch erst nach dem Beten. Jeder Verstoß gegen die Disziplin wurde streng bestraft, anfangs mit Arrest, später auch mit körperlichen Züchtigungen. Besonders schlimm trieb es ein junger Ordensmann, Dominique Moretus, der am damaligen Verwaltungssitz der Kolonie in Boma tätig war. Nachdem sich tatsächlich Schüler bei der Kolonialverwaltung über den Pater beschwert hatten, weil er sie verbotenerweise mit Peitschenschlägen traktiert hatte, erließ die Kolonialgesellschaft im Jahr 1900 eine neue Regel bezüglich der Strafen. Die Ordensleute durften jetzt Strafarbeiten vergeben, Arrest bis zu 48 Stunden verhängen, die Delinquenten bis zu einem Tag in Handschellen und bis zu sechs Tagen in Ketten legen. Der Einsatz der Peitsche wurde ausdrücklich erlaubt, bis zu zehn Schläge für Jugendliche unter 16 Jahren und für ältere bis zu 20 Schläge.
Auch sexueller Missbrauch der Jugendlichen sowie Kinderprostitution waren an der Tagesordnung. Angehörige des Wachpersonals und »Kunden« von außerhalb der Schulkolonien beuteten die Schüler aus. Pater Moretus wollte die sexuellen Verfehlungen, als deren Ursache er die Zügellosigkeit seiner Schützlinge ausmachte, mit einem Schreckensregiment ausmerzen. Er ließ die Schulkolonie von der Polizei bewachen und verhörte die Schüler unter Anwendung von Foltermethoden, bis sie ihre »Verfehlungen« gestanden. Im Januar 1906 lagen 48 Schüler aufgrund solcher pädagogischen Maßnahmen im Hospital. Dennoch beantragte der Pater bei der Kolonialverwaltung sogar noch die Erweiterung seines Strafrahmens. Jetzt war für seine Vorgesetzten allerdings das Maß voll und sie benutzten dies als Anlass, Moretus zu versetzen. Denn durch die drastische Bestrafungsaktion und ihre aufsehenerregenden Folgen drohte auch ruchbar zu werden, dass in den Schulkolonien sexueller Missbrauch und Prostitution vorkamen. Pater Moretus verließ Boma im Februar 1906 und ging zunächst nach Léopoldville (heute Kinshasa) und dann nach Umangi, wo er nicht direkt unter den Augen der Kolonialverwaltung und damit diskreter für Sitte und Moral sorgen konnte. Die Methode der Ordensleitung, mit dem sadistischen Pater umzugehen und sich um die Opfer seiner Taten nicht zu kümmern, kommt einem heute noch sehr vertraut vor.
Freilich waren die Verhältnisse in den christlichen Schulkolonien in Belgisch-Kongo noch paradiesisch im Vergleich zu dem, was viele Kongolesen erlitten, die in »Freiheit« lebten. Ein Hauptprodukt der königlichen Kolonie war Kautschuk, den Leopolds Untertanen – eigentlich eher Privatsklaven des Königs – sammeln mussten. Die Miliz beaufsichtigte sie und organisierte das Einsammeln des Rohgummis mit unvorstellbarer Grausamkeit. Wer nicht genug Kautschuk ablieferte, dem wurden die Hände abgehackt. Die abgehackten Hände zeigten die Soldaten als Nachweis ihrer Tätigkeit in ihren Dienststellen vor. Sie wurden körbeweise eingesammelt. Damit die Soldaten die teure Munition nicht zur Jagd nutzten, hatten sie ihre verschossene Munition abzurechnen – und pro Patrone einen Eingeborenenschädel vorzuzeigen als Nachweis für deren korrekte Verwendung. Auch die Schädel wurden in Körben gesammelt.
Dieses Schreckensregime dauerte bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die Zahl der Opfer wird auf bis zu zehn Millionen Menschen geschätzt. Den Missionaren vom Unbefleckten Herzen Mariens wie auch denen anderer Orden muss der Vorwurf gemacht werden, die koloniale Obrigkeit und den belgischen König unkritisch und aktiv bei ihrer bestialischen Kolonialpolitik unterstützt zu haben. Die heutigen Ordensmitglieder, es sind über tausend, sind natürlich an diesen schrecklichen Vorgängen vor hundert und mehr Jahren nicht persönlich schuld. Aber es macht nachdenklich, wenn auf der aktuellen Homepage sehr ausführlich die Zeit der Chinamission dargestellt wird, aber kein Wort das entsetzliche und tieftraurige Kapitel der Schulkolonien im Kongo
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