Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
erwähnt. Alles vergeben und vergessen?
Die Kultur der Gewalt, die die europäischen Kolonialmächte in Afrika formten, hatte leider Auswirkungen bis in die jüngste Vergangenheit. 1994 wurde die Welt von den grauenhaften Nachrichten über die Massaker in Ruanda erschüttert. Militante Mitglieder der Bevölkerungsgruppe der Hutus massakrierten innerhalb von 100 Tagen Angehörige der Tutsis, den Gemetzeln fielen 800 000 Menschen zum Opfer. Angehörige des katholischen Klerus und Ordensleute, Männer wie Frauen, beteiligten sich aktiv an den Gräueln.
Die Kirche hatte – betrachtet man den geschichtlichen Hintergrund – ebenso wie die ehemaligen Kolonialmächte einen Anteil an der Entstehung des Konflikts. Die Kolonialherren im heutigen Ruanda, zunächst die Deutschen, ab 1919 die Belgier, stützten sich zunächst aus rassistischen Erwägungen auf die Gruppe der Tutsis, die von höherem Wuchs waren als die Hutus. Nach 1945 änderte sich der Kurs abrupt, jetzt wurden die Hutus gefördert, für sie wurden Schulen gebaut, und bald gab es erste Priester, die Hutus waren. Die Mission wurde vor allem vom Orden der Weißen Väter getragen. Die jetzt zurückgesetzte Gruppe der Tutsis wehrte sich und es kam zu Unruhen, die zwar unterdrückt, deren wirkliche Hintergründe aber nie beseitigt wurden. Der Gewaltausbruch im Jahr 1994 besitzt also eine lange Vorgeschichte.
Als nun die Hutus die Tutsis mit Schusswaffen und Macheten jagten, flüchteten sich viele Tutsis, zehntausende sollen es gewesen sein, in Kirchen und hofften auf Schutz. Viele Priester halfen, nur gab es auch viele, die ihre Identität als Hutus und den Hass auf die Tutsis höher hielten als ihre christliche Religion und Schutzsuchende den Hutu-Banden preisgaben. Eine Nonne, die als Krankenschwester tätig war, lieferte Tutsi-Patienten dem wütenden Mob aus und warf ein Tutsi-Baby in die Latrine, sie wurde zu 30 Jahren Haft verurteilt.
Die Weißen Väter schafften eilig Ordensmitglieder, denen nach den Massakern die Verfolgung drohte, aus dem Land, so wurden 28 Priester und vier Nonnen vor einem Gerichtsverfahren in Ruanda bewahrt. Ein Pater dirigierte die Milizen zu den von ihnen gesuchten Personen, so berichtete ein Augenzeuge. Nach den Massakern floh er nach Frankreich, wo ihm der Prozess gemacht werden sollte. Die für seine Verteidigung anfallenden Spesen übernahm die französische Kirche. Das Gericht erklärte sich für örtlich unzuständig und schlug die Sache nieder. Erst 2006 wurde der Pater von einem ruandischen Militärgericht wegen Vergewaltigung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Abwesenheit verurteilt. Frankreichs Justiz verweigerte die Auslieferung und erklärte 2008 , die Anklage zu prüfen.
Papst Johannes Paul II . hatte schon 1996 öffentlich erklärt, die Kirche trage für das Massaker in Ruanda keine Verantwortung. So einfach, wie das klingt, scheint es aber doch nicht zu sein. Ein wahrhaftiger Umgang mit der Missionsgeschichte in Afrika käme zu einem differenzierteren Urteil. Aber ein solcher steht nach wie vor aus.
4.
Das 6. Gebot – Kirchenmänner auf Abwegen
»Es ist eine große Krise: Niemand sollte versuchen, sie herunterzureden. Sie ist meiner Ansicht nach besonders schwer, weil Priester eigentlich gute Hirten sein sollten – und sie werden zum genauen Gegenteil, wenn sie Kinder missbrauchen und ihre Unschuld verletzen. Der Ausbruch dieser Krise hat die meisten von uns wohl überrascht; ein Bischof sagte mir: ›Das ist eigentlich nicht der Verein, dem ich beigetreten bin …‹«, so fasste Kardinal William Joseph Levada am 28 . April 2010 ein Desaster in Worte, das die Kirche heute erlebt.
Kardinal Levada ist Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, der früheren Heiligen Inquisition, und damit auch zuständig für die Beurteilung bestimmter »schwerer Verbrechen« von Geistlichen, zu denen der sexuelle Missbrauch an Kindern gehört. Er übernahm dieses Amt 2005 , als sein Vorgänger Kardinal Ratzinger zum Papst gewählt worden war. Der US -Amerikaner Levada war zwischen 1982 und 2000 in mehreren Diözesen der Vereinigten Staaten als Bischof tätig gewesen. Das Überraschende an dem zitierten Statement des Kardinals liegt in der Behauptung, vom Ausbruch der Krise überrascht zu sein. Denn in den USA nahm sie ihren Anfang, wurde spätestens Anfang der 1980 er-Jahre öffentlich und ist seither aufgrund ihrer moralischen und finanziellen Auswirkungen auf die
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