Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
etliche Jahre später bekannt. Der Priester wurde 1979 versetzt. Schon 1982 wurde er wieder auffällig, er missbrauchte erneut mehrere Mädchen. Einer Zwölfjährigen flößte er Messwein ein, bis sie betrunken war. Dann machte er Nacktfotos von ihr, mit denen er sie in den folgenden Jahren immer wieder erpresste, mit ihm Geschlechtsverkehr auszuüben. Mindestens 45 einzelne Taten wurden ihm vom Landgericht Augsburg nachgewiesen, er wurde zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Das Ordinariat hatte mindestens seit 1984 von den Vergehen gewusst, doch nichts unternommen. Dem Priester wurde angeblich sogar geraten, die strafrechtliche Verjährungsfrist der Delikte abzuwarten. Vor Gericht behauptete der damalige Generalvikar Dr. Eugen Kleindienst später, er habe die Personalakte des Pfarrers nicht gelesen und kenne deshalb die Vorwürfe nicht. Er wurde zwar 1993 von der Position als Generalvikar abgelöst, übernahm aber als Bischofsvikar die Finanzabteilung des Bistums. 2003 wurde er auf Vorschlag der Deutschen Bischofskonferenz von Joschka Fischer, dem damaligen Bundesaußenminister, in den diplomatischen Dienst berufen und ist seither als Geistlicher Botschaftsrat für die Deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl tätig.
Auch für die Zeit nach 1993 wurden in Deutschland jedes Jahr mehrere Fälle von Priestern bekannt, die Jungen oder Mädchen sexuell missbrauchten. Die öffentliche Wahrnehmung beschränkte sich in der Regel auf diejenigen Täter, die ein Strafverfahren durchliefen und verurteilt wurden. Bis auf zwei spektakuläre Fälle blieb es jedoch bei Gefängnisstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Der Spiegel berichtete zwar 1995 über etliche Fälle von priesterlichem Missbrauch an Ministranten, bei denen die Täter immerhin zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren, aber auch das schlug keine großen publizistischen Wellen. Ein Handlungsdruck entstand in den deutschen Ordinariaten somit nicht. Es blieb in der deutschen Öffentlichkeit noch ruhig, die Kirche befand sich quasi in einem heranziehenden Gewitter, in der Ferne zuckten schon die Blitze, noch herrschte Stille, nur gelegentlich stürmte ein einzelner Windstoß heran. Hier hätte man bereits reagieren können, die Bischöfe hätten einen Beitrag zur aktiven Aufklärung leisten, und auch die Oberen der geistlichen Orden, die Schulen, Internate und andere Einrichtungen für Kinder unterhielten, hätten gegensteuern müssen. Gerade sie hätten durch die Vorfälle in den USA und in Irland gewarnt sein müssen. In Deutschland hielt die Kirche lange, viel zu lange an der Illusion fest, pädokriminelle Priester stellten Einzelfälle dar, die man am besten nicht an die große Glocke hängt. Bei Beobachtern entstand der Eindruck, dass klerikale Kumpanei wichtiger war als die Sorge um die Opfer.
Erst 2002 – wohl ausgelöst durch den Skandal in Irland – recherchierten Journalisten des Südwestdeutschen Rundfunks 47 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch durch Priester in Deutschland seit dem Jahr 1972 . Das Ergebnis wurde in der ARD in einem Film mit dem Titel »Tatort Kirche« vorgestellt. Der Befund war ganz ähnlich wie in Irland, es gab die gleichen Strategien kirchlicher Stellen, die Täter zu schonen und die Opfer möglichst zu ignorieren. Die priesterbezogene Wahrnehmung der Problematik durch die Bischöfe wurde in der Aussage eines verurteilten Pfarrers deutlich: »Meine stärkste Erfahrung war, dass die Kirche den Mantel der christlichen Nächstenliebe über meine Taten gedeckt hat.« Aber erneut blieb ein großer Aufschrei der Öffentlichkeit aus.
Die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlichte Ende des Jahres 2002 auf der Grundlage neuer römischer Vorschriften eine eigene Richtlinie zum Umgang mit Vorwürfen gegen Priester wegen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, die für alle deutschen Diözesen verbindlich sein sollte. Aber diese Richtlinie beließ die Verantwortlichen in einer passiven Rolle. Erst wenn sich Opfer meldeten, war Anlass zur Aktion. Dabei wäre ein Weg gewesen, die vielen noch in der Anonymität des Schweigens steckenden Opfer anzusprechen. Oder sogar Altfälle aufzurollen und zu recherchieren, wo sich die schon einmal verdächtigten oder wegen solcher Delikte versetzten Priester gerade befanden. Nach allem, was man 2002 über das Dunkelfeld sexuellen Missbrauchs an Kindern durch Geistliche hätte wissen können, ja wissen müssen, war der Erlass dieser Richtlinie allein völlig
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