Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
innerhalb von zehn Jahren, den irischen Bischöfen die Problematik des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch Priester in Pfarreien, Schulen und Internaten genau bekannt war, ohne dass irgendetwas unternommen wurde, was der Sicherheit der Kinder vor weiteren Übergriffen gedient hätte. Opfer, die sich an die Kirche wandten, erhielten nur unzureichende Unterstützung, in etlichen Fällen wurden ihre Berichte pauschal als unglaubwürdig diskreditiert. Aber auch für den Zeitraum nach 2004 , als erste kirchliche Maßnahmen gegen sexuellen Missbrauch von Kindern durch Geistliche schon wirksam waren, wurden der Murphy-Kommission noch 120 entsprechende Anschuldigungen bekannt. Der Dubliner Erzbischof Martin hatte also allen Grund, die Opfer um Entschuldigung zu bitten. Er sagte, er entschuldige sich für alles, was den Opfern geschah, er trauere darüber und er schäme sich: »Aber mir ist bewusst, dass kein Wort der Entschuldigung je ausreichend sein wird.« Mit diesem Statement konnte der Erzbischof nicht alle seine Priester erreichen, er steht seitdem unter heftiger Kritik, weil er den Murphy-Report nicht zurückgewiesen hatte. Obwohl der Papst seine Position stärkte, blieb die Erzdiözese Dublin bis jetzt innerlich zerrissen. Zahlreich sind die Kräfte in der Kirche, die das Thema des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch Priester behandeln wollen, wie es früher immer gemacht wurde, nämlich nach Art der bekannten drei Affen: »nichts sehen, nichts hören, nichts sagen«.
Das Schweigen der Hirten
Nachdem die Entwicklung der großen Kindesmissbrauch-Skandale in USA und in Irland seit den achtziger Jahren der römischen Kurie und auch führenden Kirchenleuten in der ganzen Welt nicht verborgen geblieben ist, hätte man eigentlich hoffen können, dass die Oberhirten ihre Leitungsverantwortung wahrnehmen würden, um in der Kirche insgesamt, in jedem einzelnen Bistum vorsorglich zu untersuchen, ob hier nicht die gleichen Probleme noch unentdeckt schlummerten. Schließlich wurden in vielen Ländern immer wieder neue Fälle bekannt: Einzelfälle zwar, die aber so gravierend waren, dass sich die Erkenntnis eines dahinterliegenden strukturellen Problems geradezu aufdrängte.
Wie viele Opfer wären verschont geblieben, wenn schon vor zwanzig Jahren gehandelt worden wäre? Hunderte? Wohl eher tausende, zehntausende. Das ist sicher nicht übertrieben, denn die römische Kirche ist ein Weltkonzern in Sachen Bildung. Gut 6500 kirchliche Hochschulen gibt es und die Zahl der Primar- und Sekundarschulen beträgt über 200 000 . Die Zahl der Schüler in katholischen Einrichtungen weltweit liegt zwischen 40 und 50 Millionen, genauere Angaben gibt es nicht. Wenn nur in jeder zehnten Schule ein einziger pädokrimineller Geistlicher unerkannt oder ungehindert seinen Neigungen nachgeht und vielleicht nur zwei Opfer jedes Jahr findet, wären das schon 40 000 Jungen oder Mädchen. Und die Zahlen der Kinder und Jugendlichen, die im Rahmen der normalen Pfarrseelsorge betreut werden, die Ministranten sind, Chorknaben oder Pfadfinder, ist noch weit größer, vielleicht 300 Millionen. Die Anwendung falscher Grundsätze im Umgang mit Kindesmissbrauch durch Geistliche birgt ein gewaltiges Schadenspotenzial in sich. Und es werden über die unmittelbaren Opfer hinaus ja noch mehr Menschen geschädigt, die Eltern, die Familienangehörigen, deren Vertrauen in die kirchlichen Einrichtungen mit Füßen getreten wird. Nicht zuletzt sehen sich die vielen Mitarbeiter dieser Schulen und Heime, die vielen Geistlichen, die einen verantwortlichen Umgang mit Kindern pflegen – und dies ist ja glücklicherweise der größte Teil von ihnen –, auf perfide Art in Mithaftung genommen; ihr Ansehen, das Vertrauen, das sie genießen, der Erfolg ihrer Arbeit, alles wird aufs Spiel gesetzt.
Um etwas darüber zu lernen, wie die Kirche mit straffällig gewordenen Geistlichen umgeht, deren pädokriminelle Neigungen und Aktivitäten ihren Vorgesetzten schon jahrzehntelang bekannt waren – oder zumindest bekannt sein konnten, hätte man bloß richtig und ohne Scheuklappen hingeschaut –, muss man nicht nach Irland oder in die Vereinigten Staaten schauen. Ein Blick vor die eigene Haustür genügt bereits. Stellvertretend nur ein Beispiel dafür aus Deutschland, aus dem Bistum Augsburg. In einem kleinen Dorf im Allgäu hatte ein Pfarrer zwischen 1966 und 1979 sieben minderjährige Mädchen sexuell belästigt; dies wurde im Ordinariat in Augsburg
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