Schwarzbuch ÖBB
Konsumtempels verkommen ist. Oder der neue Wiener Hauptbahnhof, der an ein 20.000 Quadratmeter großes Einkaufszentrum angehängt und von riesigen Immobilienprojekten umzingelt wird.
Bahnhof Wien Mitte
Laut ÖBB ist der Bahnhof »Wien Mitte« der meistfrequentierte Österreichs. Diese Bewertung ergibt sich wohl nur dann, wenn man außer den Fahrgästen der fünf Schnellbahnen auch jene der beiden U-Bahnen 3 und 4 mitzählt.
Nähert man sich diesem Verkehrsknotenpunkt von außen, hat man nicht den Eindruck, dass es sich um einen »Bahnhof« im traditionellen Sinn handelt. Es ist ein riesiges, klobiges Immobilienprojekt mit Geschäften, Büros und Restaurants im Ausmaß von 130.000 Quadratmeter Nutzfläche, in dessen Keller der öffentliche Verkehr stattfindet.
Ein kleiner Fahrgast-Test, den ich Anfang Juli 2013 durchführte, ergab Folgendes:
Der Bahnhof Wien Mitte ist ein unauffälliger, übersichtlicher, gut funktionierender Verkehrsknoten. Offenbar hat man die Fußwege zwischen den öffentlichen Verkehrsmitteln, die früher teilweise sehr lang waren, um einiges verkürzt. Von der Flughafen-Schnellbahn CAT bis zu den öffentlichen Verkehrsmitteln U3 , U4 und den S-Bahnen geht man jetzt etwa 175 bis 350 Meter zu Fuß.
Das ist durchaus im Rahmen des Üblichen.
Wien Hauptbahnhof
Die Notwendigkeit eines neuen Wiener Hauptbahnhofes wurde von der Fachzeitschrift Eisenbahn Österreich generell in Frage gestellt: »Tatsache ist, dass die ÖBB den Hauptbahnhof so dringend benötigen wie einen Kropf und sich zum Handlanger und Mitfinanzier für ein Städtebauprojekt der Gemeinde Wien vergewaltigen ließen. Um einen Bruchteil der Kosten hätte ein weitaus funktionellerer Durchgangsbahnhof gestaltet werden können.«
Zusammenfassend heißt es, der neue Hauptbahnhof sei nur eine überdimensionierte Haltestelle mit schlechten Anschlüssen an öffentliche Verkehrsmittel. Besser und billiger wäre es gewesen, Wien-Meidling zum Hauptbahnhof zu erklären, der derzeit während der Bauarbeiten des Hauptbahnhofes dessen Aufgaben bestens erfüllt und auch über bessere Anschlüsse an den öffentlichen Verkehr verfügt.
Ein gelungenes Ablenkungsmanöver
Das Beste am neuen Hauptbahnhof ist ein Aussichtsturm namens Bahnorama . Von dort hat man einen schönen Blick auf das Rautendach des Bahnhofs und das umliegende Gelände. Fast alle Broschüren und Artikel zum neuen Hauptbahnhof sind mit dieser Ansicht illustriert.
Jedenfalls handelt es sich um eine gelungene PR -Strategie der ÖBB , um vom Planungsdesaster abzulenken, das sich am Bahnhof selbst abspielt. Denn als Reisender betritt man einen Bahnhof ja nicht aus der Vogelperspektive, sondern zu ebener Erd’ oder von unten. Der neue Hauptbahnhof ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Er wirkt, als seien hier Leute am Werk gewesen, die noch nie einen gut funktionierenden Bahnhof gesehen haben.
Aber vielleicht wird alles besser, wenn 2015 alles fertiggestellt ist, denn derzeit gibt es noch einige Provisorien.
Hoch hinauf
Ursprünglich, im Jahr 2003, hätte der neue Bahnhof 420 Millionen Euro kosten sollen. Seither fanden mehrere Umplanungen statt. Im Oktober 2006 rechneten die ÖBB mit 742,1 Millionen Euro. Im Frühjahr 2007, als der damalige ÖBB -Chef Martin Huber (siehe »Funktionen von Ex- ÖBB -Chef Martin Huber laut Wikipedia und ÖBB « ) das Projekt vorstellte, schätzte man die Kosten bereits auf knapp 784 Millionen Euro. Im Juni 2007 war dann von 886 Millionen die Rede und zwei Jahre später von 930. Inzwischen ist mehr als eine Milliarde daraus geworden.
Rauf und runter
Ein Bahnhof ist dazu da, um Reisenden eine rasche und bequeme An- und Abreise zu ermöglichen. Die Österreichischen Bundesbahnen und die Stadt Wien behaupten in einer Werbebroschüre zum neuen Hauptbahnhof, dass »der optimale Anschluss an den öffentlichen Verkehr ein problemloses Weiterkommen in Wien« garantiere.
Um zu testen, ob das gelungen ist, reise ich am 11. Mai 2013 mit der U-Bahnlinie 1 an und steige am dortigen Hauptbahnhof aus – drei Stockwerke unter der Erde. Dort halte ich mich an die Richtungsmarkierungen, nehme am Ende des Bahnsteigs den Lift und fahre zwei Stockwerke höher.
Oben leitet mich der Richtungspfeil »Hauptbahnhof« zu einer Stiege, die aber wiederum ein Stockwerk tiefer führt. Weil ich aus Testgründen einen schweren Koffer dabeihabe, sehe ich mich nach einer Rolltreppe oder einem Lift um – erfolglos. Und so schleppe ich meinen Koffer
Weitere Kostenlose Bücher