Schwarzbuch ÖBB
mit Pferde-Fuhrwerken über den Semmering nach Wien. Probefahrten und Einschulungen der Lokführer fanden im Wiener Prater statt, zur Belustigung des allgemeinen Publikums.
Der erste fahrplanmäßige Personenzug verließ am 6. Jänner 1838 um 9 Uhr 30 den Wiener Nordbahnhof – mit 218 zahlenden Passagieren. In den folgenden Jahren wurde die Strecke laufend weitergebaut bis nach Brünn in Mähren. Bereits vier Jahre nach der Eröffnung schrieb diese Bahn Gewinne. Das blieb so bis zur Verstaatlichung im Jahr 1906, als fast alle Privatbahnen vom Staat übernommen wurden.
Auf einer Lok Richtung Norden
Ich befinde mich nun zum zweiten Mal auf dem Führerstand einer Lok, und erneut habe ich das meinem ÖBB -Informanten Friedrich Z. * zu verdanken. Unser Ausgangspunkt ist die Station Wien Matzleinsdorfer Platz. Mit einem Regionalzug werden wir bis zur Haltestelle Bernhardsthal an der tschechischen Grenze fahren. Obwohl diese Strecke auch von Fernzügen nach Prag, Warschau und Berlin befahren wird, hat sie für das österreichische Eisenbahnnetz nur untergeordnete Bedeutung.
Laut dem Lokführer, der uns auf dem Führerstand mitfahren lässt, gibt es ÖBB -intern bei den großen Investitionen eine klare Rangfolge. Zuerst kommt die Westbahn, dann die Südbahn, dann die Ostbahn und zum Schluss die Nordbahn. Alle anderen Strecken, erklärt er mir, sind für die ÖBB weniger wichtig.
Unser Regionalzug, bestehend aus einer mehr als zwanzig Jahre alten Lokomotive vom Typ 1144, vier Doppelstockwagen und einem Steuerwagen am anderen Ende des Zuges, wird bis zum Zielort 22 Mal anhalten und für die etwa 75 Kilometer lange Strecke eineinhalb Stunden benötigen. Das ergibt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 45 km/h. Wir dürfen an keiner Stelle schneller als 120 km/h fahren. So steht es im »Buchfahrplan«, dem Fahrplan für Lokführer.
Die Schnellzüge, die auf dieser Strecke ohne anzuhalten von Wien bis über die tschechische Grenze fahren, kommen auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 75 km/h. Das ist im Vergleich zur Westbahnstrecke jämmerlich langsam. Aber die ÖBB und die Verkehrspolitiker stört das nicht. Nach der Grenze, in Tschechien, geht es dann wieder schneller voran, mit 160 km/h, mit derselben Lok, mit der auf der österreichischen Strecke gefahren wird.
Auch auf der Nordbahn – zwanzig Zentimeter breiter
Gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde auf der Nordbahnstrecke mit dem Wiederaufbau begonnen, mit einem Gleisabstand von vier Metern. Inzwischen sind einige Teilstücke nach Hochwasserschäden auf 4,70 Meter verbreitert worden, und so wie auf der Südbahn wechseln wir nun zwischen diesen beiden Abständen in einer Schlangenlinie hin und her.
Und so wie auf der Südbahn kann man auch hier vermuten, dass hinter den 4,70 Metern Gleisabstand Schlawinerei im Spiel war (siehe dazu »Österreich ist breiter« ). Selbst im Hinblick auf die künftige Entwicklung wäre ein Gleisabstand von höchstens 4,50 Metern notwendig. Studenten der Technischen Universität Wien erzählen sich, die zwanzig Zentimeter seien ein Geschenk an die österreichischen Schotterfirmen gewesen. Breitere Strecke = mehr Schotter.
Planungsfehler mit System
Von unserem Ausgangspunkt führt das Gleis zunächst in östlicher Richtung. Wir lassen den neuen Wiener Hauptbahnhof ohne anzuhalten rechts liegen und biegen dann erst Richtung Norden ab. Währenddessen erklärt mein Informant Friedrich Z. die gleistechnischen Fehler, die beim Neubau des Hauptbahnhofes gemacht wurden.
Dort gibt es Aus- und Einfahrweichen, über die man nur mit 40 anstatt 60, 80 oder 100 km/h fahren kann. »Das sind«, sagt Friedrich Z. grimmig, »typische Planungsfehler von Leuten, die von der Fahrdynamik auf der Eisenbahn keine Ahnung haben!«
Die langsame Fahrweise hat nämlich zur Folge, dass auf einem Gleis weniger Züge fahren können, als dies bei einer höheren Geschwindigkeit möglich wäre. Daraus entstehen dann sehr schnell Kapazitätsengpässe.
Derartige Weichen gibt es nicht nur am Hauptbahnhof, sondern auch auf vielen anderen Bahnhöfen wie Wien West oder Wiener Neustadt; und auch bei unserer nächsten Haltestelle, Wien Rennweg. Sowohl die Einfahr- als auch die Ausfahrweiche erlauben nur Geschwindigkeiten von 40 km/h.
Wir haben es hier, erklärt Friedrich Z. , mit einem generellen Problem der ÖBB zu tun: Einerseits baut man sündteure neue Strecken für hohe Geschwindigkeiten, andererseits fügt man viele Stellen ein, wo man langsamer fahren
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